taz.de -- Kommentar Energiewende: Hektik und Herrschaft
Eile kann eine Herrschaftsmethode sein. Wer seine Gegner neutralisieren will, nimmt ihnen die Zeit zur Reaktion. Das kann Merkel. Doch bei der Energiewende ist es falsch.
Vor vier Monaten hätte niemand für möglich gehalten, dass Deutschland als erstes Land der Welt den kompletten Atomausstieg beschließt. Diese Jahrhundertentscheidung beinhaltet auch gigantische ökonomische Chancen.
Als Marktführer für erneuerbare Energien können wir künftig einen Teil unseres Wohlstandes sichern. Deshalb sollten nicht nur die Energiekonzerne, sondern auch die Grünen über ihren Schatten springen und dem Atomkonsens zustimmen.
Das muss aber nicht heißen, dass die Opposition im Bundestag jetzt innerhalb kürzester Zeit für alle acht Gesetze die Hände hebt, die die Regierung vorschlägt. In Planung ist unter anderem ein Beschleunigungsgesetz für den Bau neuer Stromnetze.
Wenn den Bürgern aber die Windparks, Solarkraftwerke und Hochspannungsleitungen im Rekordtempo vor die Nase gesetzt werden, ist der Protest gegen die Energiewende programmiert. Statt Eile und Beschleunigung wäre nicht weniger, sondern mehr Bürgerbeteiligung notwendig.
Die Regierung muss Ländern, Gemeinden und Einwohnern einen Vorschlag vorlegen, wo und wie die neue Energieinfrastruktur entstehen soll. Erst nach mehreren Beratungsschleifen, bei denen die Einwände ernstgenommen werden, dürfen die Baumaßnahmen beginnen.
Das fordern nicht nur Bürgerinitiativ-Spinner, sondern auch Regierungsberater wie der Wissenschaftliche Beirat für Globale Umweltveränderungen. Die Professoren wissen: Eile kann eine Herrschaftsmethode sein. Wer seine Gegner neutralisieren will, nimmt ihnen die Zeit zur Reaktion. Bevor sie sich sortiert haben, hat die Regierung die Zukunft schon strukturiert.
Auf solche Methoden versteht Angela Merkel sich ziemlich gut. Die Abgeordneten des Bundestages und die Bürger aber sollten sagen: Halt! Auf ein halbes Jahr mehr oder weniger Beratungszeit kommt es jetzt nicht an.
8 Jun 2011
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Der Parteivorstand der Grünen warnt die Basis vor einer Ablehnung der Atomgesetz-Novelle. Gegen diese Vorgabe aber formiert sich Widerstand.
"Irrtumsbereinigungsgesetz", "Willkommen im 21. Jahrhundert" – in der Plenardebatte zum Atomausstieg im Jahr 2022 hagelte es Oppositions-Kritik für Kanzlerin Merkel.
Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Frank-Walter Steinmeier, hält der Kanzlerin bei der Energiewende Ziellosigkeit vor. Sie bestätige mit ihrer Politik alles, was sie zuvor bekämpft habe.
Auch mit neuer Führung kommt die FDP nicht zur Ruhe. Nun kritisiert Generalsekretär Christian Lindner den Atomausstieg - und demonstriert die Machtlosigkeit seiner Partei.
Die Grünen würden einen schweren Fehler machen, wenn sie dem mangelhaften Atomausstieg zustimmen. Denn ihre Zustimmung wäre nur ein Gütesiegel für Schwarz-Gelb.
Atomkonzerne glauben, dass das Energiekonzept der Regierung juristisch nicht wasserdicht ist. Auch die FDP ist nun skeptisch. Christian Lindner schiebt flott der Union die Verantwortung zu.
Umweltverbände fordern, dass die Grünen gegen den Ausstiegsplan der Regierung stimmen. Beim Grünen-Sonderparteitag Ende Juni könnte es mal wieder knallen.
Mit dem schnellen Ausstieg hat sich Umweltminister Röttgen gegen die FDP und Teile der Unions-Fraktion durchgesetzt. Die Frage ist nun: Wer profitiert? Und wer muss zahlen?