taz.de -- Blogger zu Norwegen: "Blind vor Aktionismus"

Nach den grauenvollen Ereignissen in Norwegen wurden von vielen "Experten" voreilige Schlüsse gezogen. Blogger üben nun Kritik und nur das ZDF weiß sich zu wehren.
Bild: Expertise oder Spekulation? Auch Blogger stellten sich diese Frage zur anfänglichen Berichterstattung zu Norwegen.

BERLIN taz | Zu den vornehmsten Aufgaben des Internets gehört es, Autoritäten einzuebnen: Das hat zur Erosion der journalistischen Aura geführt. Dieses Mal haben sich die Terrorexperten verzettelt, die kurz nach dem Anschlag unisono [1][über die Beteiligung Al'Quaidas spekulierten] - nicht nur jene Experten im Fernsehen übrigens, sondern auch die Gewerkschaft der Polizei [2][warnte stehenden Fußes] , "dass auch deutsche Großstädte in Gefahr" seien.

Denn schließlich: "Terror ist Terror. Wer die von den Sicherheitsbehörden immer wieder beschworene Gefahr kleinredet, handelt verantwortungslos." Auf keinen Fall verantwortungslos wollte sich der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU im Bundestag, Hans-Peter Uhl, präsentieren, als er direkt die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung anregte - "blind vor Aktionismus", wie Florian Altherr [3][bei Netzpolitik anmerkt].

Stefan Niggemeier [4][sammelte stellvertretend] für die vielen dummen voreiligen Kommentare zwei ganz besonders dumme voreilige Kommentare: flankiert von [5][vielen] , [6][vielen] kritischen Beiträgen zu diesem Berufsstand, der streng genommen gar keiner ist.

"Journalistische Arbeit war sauber"

Nur Ralf Marder [7][stellt sich gegen die Flut und verteidigte] Elmar Theveßen, den Terrorexperten des ZDF. Elmar Theveßen selbst reichte eine Rechtfertigung nach, [8][in der er betonte], die "journalistische Arbeit" sei "sauber" gewesen: die Quellen, Regierungs- und Sicherheitsbehörden, seien genannt worden und außerdem hätten wohl "viele" das ZDF für "verrückt" gehalten, hätte man am Freitag Abend über "Kreuzzügler" spekuliert.

Aus fernsehjournalistischer Sicht mag Theveßen sogar Recht haben, aber er sieht nicht, dass das Problem die Live-Schalte ist: die taugt nämlich nicht zur distanzierten Betrachtung. Die Experten sind nur das Bauernopfer einer direkten Berichterstattung, wie das Fernsehen sie in solchen Momenten zwingend vorsieht.

Kurz darauf wurde bekannt, dass Breivik in seinem Manifest bisweilen auch Henryk M. Broder zitiert hatte: [9][für viele Anlass genug], nach der Verantwortung des „Brandstifters" (Jens Berger ) Broder und rechtspopulistischer Antiislam-Szene zu suchen. Andreas Kemper [10][fasst es so] zusammen: "Die 'Tabubrüche', die mit Begriffe wie 'Political Correctness' und 'Gutmenschentum' Stimmung gemacht haben, führen in der Praxis zu Massenmorden wie dem im Oslo." Ein naheliegender Gedanke, wenn man die von NPD-Blog.info [11][gesammelten "Dokumente des Hasses"] und die Aufrufe zur Gewalt gegen ideologische und religiöse Gegner liest - sie stammen ursprünglich vom radikalen Blog PI, das [12][jenen norwegischen Foren] entspricht, auf denen Breivik sich sein Manifest zusammenkopiert hat.

Im Stillen Sympathien für Breiviks Motive

Michael Seemann hingegen [13][fragt sich], mit welchem Recht Leute wie Henryk M. Broder, Thilo Sarrazin und viele andere "in Sippenhaft für die Tat eines Einzelnen" genommen werden, und auch Ali Arbia [14][warnt vor] doppelten Standards: "Man darf nun nicht einfach auf die gegen den Islam hetzende Rechte zeigen und sie direkt für die Taten eines Mannes verantwortlich machen, der seine Taten mit ihren Ideen rechtfertigte."

Gleichzeitig aber müsse man die Organisationen und Autoren, die immer wieder rassistischem und islamophobem Gedankengut Vorschub leisten, nachdrücklich auf ihre Verantwortung hinweisen: "Sie müssen und sollen zwar das Recht haben ihren ausgrenzenden Diskurs zu führen, sie müssen aber auch mit den Konsequenzen konfrontiert werden und dem Klima, das sie damit schaffen." Es dürfte auch der einzige Weg sein, jene zu reintegrieren, die im Stillen Sympathien für die Motive Breiviks hegten, die Tat aber zutiefst verabscheuen.

26 Jul 2011

LINKS

[1] http://blogs.taz.de/arabesken/2011/07/23/plaedoyer_zur_abschaffung_des_berufstand_des_terrorexperten_selten_lagen_so_viele_so_schnell_auf_dem_holzweg/%5D
[2] http://www.gdpbundespolizei.de/2011/07/schwere-bombenexplosion-im-zentrum-von-oslo/
[3] http://netzpolitik.org/2011/wir-schutzen-unsere-freiheit-nicht-indem-wir-sie-abschaffen/
[4] http://www.stefan-niggemeier.de/blog/handgeschriebene-visitenkarten-sind-so-schwer-zu-entziffern/
[5] http://feynsinn.org/?p=9330
[6] http://ad-sinistram.blogspot.com/2011/07/es-war-gottseidank-nur-ein-psychopath.htm
[7] http://mediensalat.info/wordpress/?p=6994
[8] http://blog.zdf.de/zdfdasblog/2011/07/24/expertise-oder-spekulation/
[9] http://www.nachdenkseiten.de/?p=10216
[10] http://dishwasher.blogsport.de/2011/07/24/breivik-ist-nicht-wirr/
[11] http://npd-blog.info/2011/07/25/dokumente-des-hasses/
[12] http://alles-schallundrauch.blogspot.com/2011/07/breiviks-manifest-ist-ein-plagiat-des.html#ixzz1T8c6Sisg
[13] http://mspr0.de/?p=2350
[14] http://www.scienceblogs.de/zoonpolitikon/2011/07/terroranschlage-und-doppelstandards-in-alle-richtungen.php

AUTOREN

Valin

TAGS

Islamophobie
Islamismus

ARTIKEL ZUM THEMA

Debatte um Islamkritik: Beruf Islamkritiker

Warum die Tat eines Islamisten und die Tat eines Islamhassers andere und doch gleiche Reaktionen hervorrufen. Und warum Islamkritik nicht gleich Islamkritik ist.

Der Terror in Norwegens Medien: "Keine Plattform für kranke Ansichten"

Norwegens Medien haben besonnen über die Anschläge berichtet. Nun wird diskutiert, wie viel Raum künftig der üppigen Eigen-PR von Behring Breivik gegeben werden soll.

Journalist Hannes Stein über seine Islamkritik: "Ich verteidige die offene Gesellschaft"

Rechtsradikale Islamkritiker verfolgen ein Phantasma namens christliches Abendland, meint Hannes Stein. Ihm geht es aber um das Recht, sich über alle Religionen lustig machen zu dürfen.

Dänemark nach den Anschlägen in Oslo: Trubel am Waschbecken

Der Attentäter von Oslo nennt Dänemark in seinem Manifest ein rühmliches Vorbild. Dort wird jetzt über eine Mitschuld an den Anschlägen gestritten.

Oslo nach den Anschlägen: Die Utøya-Generation

Die Cafés in Oslo füllen sich wieder, Rosen sind ausverkauft, der Brunnen auf dem Youngstorget plätschert. Aber für die junge Generation hat sich die Welt verändert.

Nach den Anschlägen in Norwegen: "Alarmknopf" fürs Internet gefordert

In Deutschland werden Sicherheitsmaßnahmen im Internet diskutiert. Die norwegische Geheimdienstchefin ist überzeugt, dass der Attentäter voll zurechnungsfähig ist.

Debatte Attentate in Oslo: Prima Klima für Einzeltäter

Populisten und andere Islamfeinde wollen mit der schrecklichen Tat aus Norwegen nichts zu tun haben. Lasst sie damit bloß nicht davonkommen, sagt Robert Misik.

Psychologie des Oslo-Täters: "Ein Attentäter mit Amokdynamik"

Die politische Ideologie ist bei Gewalttätern ein Deckmantel für eigene Probleme. Das sagt die Kriminalpsychologin Karoline Roshdi - auch über den Attentäter von Oslo.

Auf Bauernhof von Breivik: Polizei zündet Sprengstoff

Auf der Farm des Attentäters von Oslo hat die Polizei weiteren Sprengstoff gefunden. Derzeit fahnden die Ermittler nach einem gewaltbereiten Breivik-Verehrer. Breivik gilt als suizidgefährdet.

Trauer in Norwegen: Ein Meer aus Blumen

Sie sind nicht wütend, sie sind nicht laut, aber sie sind da: Die Norweger demonstrieren in der Trauer Geschlossenheit - und den Willen, an ihrem Lebensstil festzuhalten.

Kommentar Norwegen: Linke Versäumnisse

Norwegens Sozialdemokraten haben eine ideologische Auseinandersetzung mit den Rechtspopulisten dem Jugendverband überlassen. Das muss sich dringend ändern.

Union fordert Vorratsdatenspeicherung: Reflexdebatte über innere Sicherheit

Nach den Anschlägen von Oslo ruft die Union wieder nach der Vorratsdatenspeicherung, die FDP will sie nicht. Die SPD fordert ein neues NPD-Verbotsverfahren.

Nach Anschlägen in Norwegen: "Freiheit ist stärker als Angst"

Norwegen erwägt Strafverfolgung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Kronprinz Haakon ruft zu Nähe und Liebe auf. Die Britische Polizei prüft Kontakte des Attentäters nach UK.

Nach den Anschlägen in Norwegen: Im Netz der Trauer

Das Web wird in Norwegen dazu verwendet, die Anschläge zu verarbeiten. Wildfremde Menschen bieten bei Facebook Hilfe an, andere organisieren Lichterumzüge.