taz.de -- Die vier Phasen der Globalisierungskritik: Der Zyklus des Protests

Beim Weltwirtschaftsforum in Davos wird man die vierte Phase der globalisierungskritischen Bewegung beobachten können. Bei Occupy wird sich der Prozess wiederholen.
Bild: Blank ziehen – ein typischer Ausdruck von Phase drei. Hier beim Europäischen Sozialforum in Malmö 2008.

Es wird wieder eine gepflegte Veranstaltung werden im Hotel Montana. Die Herberge im Schweizer Skiort Davos ist von der Art, dass gekreuzte Skier über der Tür zum Tanzsaal hängen. 250 Menschen in Wollpullovern werden sich dort am kommenden Freitagmittag beim Duft von Kakao mit Schlagsahne zusammenfinden und verächtlich murren, wenn US-Ökonom Joseph Stiglitz die Verfehlungen globaler Konzerne anprangert.

"Public Eye Award" heißt das zwölf Jahre alte Ritual. Über Menschen und Firmen, die nicht dabei sind, erzählen sich die Anwesenden schlimme Dinge. Am Ende verleihen sie einen Preis an den "skrupellosesten Konzern" der Welt. Folgen für die Firmen wird das keine haben.

Im Hotel Montana kann man die Reste der globalisierungskritischen Bewegung beobachten. Viel ist nicht übrig geblieben. Aber ist sie deshalb erfolglos gewesen? Keinesfalls! Sie ist nur auf der letzten Stufe angekommen. Oder, wenn man so will, am Beginn eines neuen Zyklus.

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Reagan, Thatcher und Kohl haben die Welt in den Achtzigern gefügig gemacht. Blair, Clinton und Schröder vollendeten in den Neunzigern die Befreiung des Geldes vom Gesetz. Nur privater Reichtum ist guter Reichtum. "Jede Steuer ist zu hoch", postuliert Ökonom Milton Friedman.

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Am 1. Dezember 1999 verhindern 40.000 Demonstranten in Seattle, dass UN-Generalsekretär Kofi Annan und US-Außenministerin Madeleine Albright mit ihren Karossen zur Tagung der Welthandelskonferenz fahren. Steine, Schlagstöcke, Verletzte, Ausgangssperre – ab jetzt spricht man von der Bewegung der Globalisierungskritiker.

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Während in Davos wie immer im Januar das Weltwirtschaftsforum tagt, organisieren die Kritiker im Jahr 2001 im brasilianischen Porto Alegre ihre Gegenveranstaltung, das Weltsozialforum. Jeder kann seine Analysen und Rezepte gegen den schrankenlosen Kapitalismus einbringen.

Linke in Frankreich, Deutschland und anderen Ländern gründen Attac und fordern die Einführung einer globalen Steuer auf Finanzgeschäfte. Die Kanadierin Naomi Klein erklärt in ihrem Buch "No Logo", wie man die anscheinend allmächtigen Konzerne mit ihrer eigenen Waffe schlägt, dem Image.

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"Eine andere Welt ist möglich" lautet das Motto der Bewegung. Es ist mitreißend, großartig, aber zu groß und unbestimmt, um realisiert zu werden. Nicht nur die Weltsozialforen zerfasern in regionale Veranstaltungen, auch die globale Bewegung besinnt sich auf ihre unterschiedlichen konkreten und handhabbaren Anliegen – den Kampf für sauberes Trinkwasser, das Recht auf Nahrung, gegen die Privatisierung öffentlichen Eigentums, für höhere Steuern auf Kapital, gegen Menschenrechtsverstöße von Unternehmen.

Im Geiste von "No Logo" vergeben ab dem Jahr 2000 Schweizer Aktivisten parallel zu Davos ihren Schmähpreis an sozial und ökologisch unverantwortliche Unternehmen. Weil es in vielen Ländern ähnliche Initiativen gibt, sehen die Konzernvorstände ein, dass sie auf die globale Rufschädigung reagieren müssen, wenn sie ihr Geschäft retten wollen.

Die Verleihung des Public Eye Award mögen sie ignorieren, doch im Großen und Ganzen stehen die Unternehmen unter zunehmendem Druck einer weltweiten Öffentlichkeit politisch bewusster Konsumenten. Apple muss etwas tun, wenn in China die ausgebeuteten Arbeiter vom Dach der iPhone-Fabrik in den Tod springen.

Der große Auftritt der Globalisierungskritiker ist vorbei, die Bewegung stirbt einen langsamen Tod, aber sie nimmt den neoliberalen Kapitalismus mit ins Grab. Die Globalisierungskritiker waren erfolgreich, sie haben den globalen Zeitgeist gedreht: Selbst Finanzminister Schäuble will jetzt eine Steuer auf Finanztransaktionen. Bald ist diese uralte Forderung erfüllt.

Wie sagte doch 2009 Frankreichs Staatschef Sarkozy, ein wirtschaftsfreundlicher Konservativer? "Die herausragende Eigenschaft dieser Krise ist die Rückkehr des Staates, das Ende der Ideologie von seiner Ohnmacht."

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Apropos Krise – nun beginnt alles wieder von vorne. Eine Gewindedrehung höher, dialektisch fortgeschritten? In mancher Hinsicht ja, in anderer nein. Den Exzess erleben wir gerade als dritte Finanzkrise innerhalb einer Dekade. Die Antwort darauf ist die derzeit explodierende Occupy-Bewegung.

Sie beginnt – wie in Porto Alegre – ohne konkrete Forderungen als transnationaler Versuch der Selbstverständigung darüber, was eigentlich zu tun sei. Wenn die Bewegung in diesem Jahr weiter aktiv bleibt und die kritische Masse überschreitet, dann ist der weitere Weg vorgezeichnet.

20 Jan 2012

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Hannes Koch

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