taz.de -- Kommentar Griechenlands Sparkurs: Wenn Sparen nur noch schadet

Der brachiale Sparkurs in Griechenland verstärkt die Wirtschafts- und Schuldenkrise. Wie soll das Land seine Schulden abbauen, wenn die Wirtschaft am Boden liegt?
Bild: Landesweit werden laut der griechisch-orthodoxen Kirche derzeit 250.000 warme Mahlzeiten täglich verteilt.

Das Gefühl, dass Griechenland kaputtgespart wird, trügt nicht. Die Wirtschaft ist 2011 noch viel dramatischer eingebrochen, als ohnehin schon erwartet wurde. Um fast sieben Prozent schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP), was nicht wirklich verwunderlich ist. Der Staat darf kein Geld mehr ausgeben, die BürgerInnen können es nicht mehr, und Unternehmen bekommen keine Kredite, um zu investieren. Woher sollte ein Wachstum also kommen?

Und nächste Frage: Wenn es kein Wachstum gibt, woher soll dann das Geld kommen, um die Schulden abzuzahlen? Darauf hat die Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds keine Antwort. Stattdessen lautet das Kommando: Noch mehr sparen!

Nur dann soll Griechenland neue Kredite bekommen, schönfärberisch als Rettungspaket bezeichnet. Als ob es unter diesen Bedingungen noch viel zu retten gäbe. Die zusätzlichen Kredite vergrößern stattdessen den Schuldenberg nur noch weiter.

Ach ja, die Schulden, die sind an allem schuld. Die Griechen haben halt über ihre Verhältnisse gelebt und müssen jetzt die Konsequenzen ziehen. Aber stimmt das überhaupt? Und kann die Krise nur durch einen brachialen Sparkurs gelöst werden?

In Griechenland jedenfalls sieht es erst mal so aus, als ob Sparen die Krise nur noch verschlimmert, und zwar sowohl die Wirtschafts- als auch die Schuldenkrise.

Ganz anders die Situation in einem Land, das noch viel höher verschuldet ist: In Japan betragen die Staatsschulden 206 Prozent des BIP verglichen mit 160 Prozent in Griechenland.

Auch Japan meldete gerade einen Rückgang der Wirtschaftsleistung im Jahr 2011, in dem das Land immerhin von einem Tsunami und einer Atomkatastrophe heimgesucht wurde - wenn auch nur um 2,3 Prozent. Dort aber spricht niemand von Finanz- oder Währungskrise, und Experten sind zuversichtlich, dass die Wirtschaft in diesem Jahr wieder wächst.

Der entscheidende Unterschied: Japan wird von keiner Troika gezwungen, sich zu Tode zu sparen. Im Gegenteil, die Regierung gibt Milliardenbeträge für den Wiederaufbau nach der doppelten Katastrophe aus und kurbelt so die Wirtschaft an. Über Japan muss man sich wirklich wenig Sorgen machen - umso mehr aber über Griechenland.

14 Feb 2012

AUTOREN

Nicola Liebert

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