taz.de -- Alltag in Griechenland: Für einen Job nach Syrien
Ein Händler ohne Laden, ein Ingenieur ohne Arbeit, eine Rentnerin mit Schulden. Die Arbeitslosenquote in Griechenland ist auf über 20 Prozent angestiegen.
ATHEN taz | Alexandros Skiadopoulos hat mit 40 Jahren schon ein bewegtes Leben hinter sich. Als angehender Sportler musste er vor dem Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien fliehen und sein Studium an der Sporthochschule in Sarajevo abbrechen. Danach entdeckte der junge Familienvater sein Verkaufstalent und arbeitete fünfzehn Jahre lang als Neuwagenhändler in Athen. Heute ist er arbeitslos.
"Schon lange vor der verdammten Krise begann die Stagnation auf dem Automarkt, jetzt kommt der endgültige Niedergang", meint Alexandros. "Im Jahr 2007 gab es noch 280.000 Pkw-Neuzulassungen im ganzen Land, für 2012 rechnet man mit höchstens 70.000".
Dabei hat Alexandros die Flaute im Automarkt vorausgesehen und aus diesem Grund schon vor vier Jahren einen beruflichen Neuanfang wagen wollen. Er kündigte seinen schlecht bezahlten Job, machte sich selbstständig und investierte alle Ersparnisse der Familie in einen Küchenladen im aufstrebenden Athener Vorort Gérakas.
Das sei wie eine Lizenz zum Gelddrucken, denn in der Nachbarschaft wurde überall gebaut, dachte er sich damals. Doch dann kam die Krise und sein Laden ging pleite innerhalb von sechs Monaten.
Seitdem ist auch Alexandros arbeitslos, wie so viele andere. Mit 20,9 Prozent hat die Arbeitslosigkeit in Hellas den höchsten Stand aller Zeiten erreicht. "Ich glaube, in naher Zukunft wird sich da nicht viel ändern. Das wird bei uns wie damals in Sarajevo, da sind die Jugoslawen abends rausgegangen und haben sich zu fünft eine Pizza geteilt", erinnert sich der 40-Jährige.
Rettung in Damaskus
Auch Vangelis Bassiatos war lange auf der Suche nach einem neuen Job. Nun hat er einen Zeitvertrag bekommen, den sonst kaum jemand will: Ende Februar reist der 45-jährige Ingenieur nach Syrien, um dort den Bau einer neuen Energieanlage zu beaufsichtigen.
"Eine griechische Firma hat das Projekt in der Nähe der Hauptstadt Damaskus übernommen und mich angeheuert. Es dauert vielleicht noch drei Jahre, bis die Anlage fertig ist, und wer weiß? Vielleicht kann ich dann projektbezogen für die Firma weiterarbeiten", meint Bassiatos hoffnungsvoll.
Familie versorgen
Macht er sich denn keine Sorgen über die Sicherheitslage in Syrien? "Ich versuche mir einzureden, in der Hauptstadt könne nicht viel passieren."
Schlimmer noch sei für ihn, dass er seine Familie nicht mitnehmen darf. Gedanken über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf seien aber ein Luxusproblem, findet der Ingenieur. "Meine Tochter soll mir lieber vorwerfen, dass ich sie kaum sehe, als dass ich nicht in der Lage wäre, für sie zu sorgen, ihr eine bessere Zukunft zu ermöglichen", sagt er.
Auch für die 76-jährige Chryssoula Theodorelou ist die Familie ihr wichtigster Halt. Sie verbringt viel Zeit mit ihren Neffen und Enkelkindern, das halte sie immer munter, meint die robuste Rentnerin, die früher als Kommunalangestellte in Athen gearbeitet hat.
Bankrott wie der Staat
Den Klischees über faule Griechen, die schon mit fünfzig ihre üppige Rente auf Kosten der Steuerzahler genießen, entspricht sie nicht: Theodorelou ist mit 67 in den Ruhestand gegangen. Seither bekommt sie eine Pension von 520 Euro plus eine staatlich subventionierte Zusatzrente von 300 Euro.
Dass ausgerechnet die Zusatzrenten nach den Forderungen von EU und IWF um bis zu 15 Prozent gekürzt werden sollen, findet sie unverschämt. Zumal die 76-Jährige bereits heute bei ihrer Bank mit 30.000 Euro in der Kreide steht.
So ähnlich ergeht es vielen, die in wirtschaftlich besseren Zeiten Wohnungs- oder Dispositionskredite aufgenommen haben und nun aufgrund der drastischen Einkommenskürzungen nicht mehr in der Lage sind, ihr Darlehen pünktlich zu tilgen.
Wachsende Schulden
Was tun? Chryssoula Theodorelou bittet die Bank um Refinanzierung ihrer Schulden und gerät dadurch in ähnliche Turbulenzen wie ganz Griechenland: Die Schulden wachsen und werden an die nächste Generation weitergegeben.
"Die Bank sichert mir ein neues Darlehen zu, aber dadurch erhöhen sich die Schulden auf 36.000 Euro. Außerdem lässt die Bank eine Vormerkung für unser Familienhaus zur Sicherung ihrer Ansprüche eintragen", sagt sie. Dafür wird die Rückzahlungszeit auf zehn Jahre gestreckt.
Theodorelou kann nur hoffen, dass ihr Mann gesund bleibt und weiterhin mit seiner eigenen Rente für alles im Alltag aufkommt. Sie selbst muss 600 Euro im Monat an die Bank zahlen, um ihre Schulden bedienen zu können.
15 Feb 2012
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