taz.de -- Ärztemangel: Land sucht Arzt
Ländliche Regionen Brandenburgs ringen um Mediziner. Junge Ärzte sollen nun mit Anreizen für Bildung und Kultur begeistert und aus Berlin weggelockt werden.
Die Kleinstadt Schwedt, das „Tor zum Nationalpark Unteres Odertal“, liegt idyllisch nahe der polnischen Grenze mit Wald und viel Wasser. Ein Idyll, das für Kinderärzte nicht attraktiv genug zu sein scheint.
Ende März wurde die Situation in Schwedt im Landkreis Uckermark akut: Die Asklepios Klinik musste die Kinderstation mit 20 Betten schließen, als der Chefarzt erkrankte und sich kein Ersatz finden ließ. Bei einer Krisensitzung am Mittwoch verständigten sich Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), Gesundheitsministerin Anita Tack (Linke), Vertreter des Asklepios-Konzerns und Politiker aus der Region darauf, mit einer gezielten Werbeaktion Mediziner in die Region zu holen. Spätestens im Oktober werde es wieder eine arbeitsfähige Kinderabteilung in Schwedt geben, sagte Platzeck. „In den nächsten Wochen werden Helden gesucht, die sich um die kleinen Patienten kümmern“, sagt Asklepios-Sprecher Rudi Schmidt.
Doch selbst wenn für Schwedt solche Helden in Weiß gefunden werden, bleibt der Ärztemangel in den ländlichen Regionen Brandenburgs ein Problem. Nach Angaben der Landeskrankenhausgesellschaft fehlten in den brandenburgischen Krankenhäusern im vergangenen Jahr rund 170 Mediziner. Ein Hausarzt in Brandenburg behandelt im Schnitt 300 Patienten mehr als ein Kollege in Berlin.
Ein Grund für die Unterversorgung sei die nahe Metropole: „Als Großstadt übt Berlin eine Sogwirkung auf junge Mediziner aus“, sagt Ralf Herre, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg. Berlin weist bundesweit konstant die höchste Dichte an Ärzten auf.
Eine mögliche, aber teure Lösung, den Mangel in Brandenburg aufzufangen, sind Leihärzte. Agenturen wie „Hire a doctor“ oder der „Ärztehof“ vermitteln Ärzte auf Honorarbasis. Philipp Reuter, Facharzt für Innere Medizin, hat schon als Honorararzt in der Lausitz und in der Prignitz gearbeitet. „Viele Krankenhäuser, die keine Bewerber für offene Stellen finden, sind auf Honorarkräfte als Übergangslösung angewiesen“, weiß der 35-jährige Internist aus eigener Erfahrung. Bei den kurzfristigen Einsätzen können Fachärzte über 100 Euro pro Stunde verdienen.
Eine langfristige Lösung sind die Leihärzte aber nicht. Laut Adelheid Kuhlmey vom Institut für medizinische Soziologie der Berliner Charité müssen auf dem Land Strukturen geschaffen werden, die jungen Ärzten entgegenkommen. Sie hat Studierende und Absolventen an der Humanmedizin Berlin der Charité befragt, ob sie sich vorstellen können, in strukturschwachen Regionen als Arzt zu arbeiten. Über 40 Prozent der Befragten lehnten dies ab, knapp jeder Dritte würde die Entscheidung von den Rahmenbedingungen vor Ort abhängig machen.
„Entscheidend für die Anwerbung hochqualifizierter Mitarbeiter sind auch Freizeitmöglichkeiten, Bildungs- und Kulturangebote und eine entsprechende Infrastruktur“, sagt Kerstin Kaiser, Vorsitzende der Linksfraktion im Brandenburger Landtag. Diese Voraussetzungen zu schaffen sei eine gemeinsame Aufgabe aller Verantwortlichen aus Politik, Kommunen und Wirtschaft. Ziel ist es, die ländlichen Regionen auch als Wohnort attraktiv für junge Mediziner zu machen. Dann könnten auch junge Ärzte wie Internist Philipp Reuter aufs Land ziehen. Dort hilft Reuter zwar von Zeit zu Zeit als Leiharzt aus. Seinen Wohnsitz hat er aber in Berlin.
12 Apr 2012
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