taz.de -- Machtwechsel im Élysée-Palast: „Solidarität und Wachstum“
Der neue Präsident wird feierlich ins Amt eingeführt. In seiner Antrittsrede ruft Hollande dazu auf, die Krise jetzt zu überwinden. Premier wird sein Vertrauter Jean-Marc Ayraul.
PARIS taz | Mit François Hollande hat Frankreich erstmals seit 17 Jahren wieder einen sozialistischen Präsidenten. Unmittelbar nach der Zeromonie ernannte Hollande seinen engen Vertrauten Jean-Marc Ayraul (62) zum neuen Premierminister. Der ehemalige Deutschlehrer und langjährige Fraktionschef der Sozialisten war im Wahlkampf Hollandes Sonderberater.
Um Punkt zehn Uhr erwartete der scheidende Staatschef Nicolas Sarkozy unterhalb der Stufen des Élysée-Palasts seinen Nachfolger François Hollande, der gemessenen Schrittes über den roten Teppich ging und sichtlich diese historische Stunde genoss.
Der Handschlag zwischen den Wahlgegnern von gestern offenbarte kühle Zurückhaltung. Der Begrüßung auf dem roten Teppich folgte ein persönliches Gespräch im präsidialen Büro. Obwohl über das Vieraugengespräch nichts verlautete, spekulierten viele, dass es dabei auch um die Codes für die Atomwaffen ging.
Im ganz in Rot und Gold glänzenden Festsaal des Präsidentenpalasts hielt Hollande dann vor rund 1.000 geladenen Gästen eine sehr politische Antrittsrede. „Exemplarisch“ müsse seine Staatsführung sein, sagte er zum angekündigten Stil- und Politikwechsel, der manchmal wie eine Abrechnung klang.
Er werde „nicht alles und für alle entscheiden“, erklärte Hollande. Eine kleine Stichelei gegen Sarkozy glaubten die Gäste herauszuhören, als Hollande seine Vorgänger seit General de Gaulle würdigte. Für jeden hatte er ein lobendes Wort, nur Sarkozy wünschte er bloß alles Gute für seine Zukunft!
Große Zwänge
Doch in weiten Teilen war Hollandes Antrittsrede von politischem Ernst geprägt. „Ich ermesse die großen Zwänge, denen unser Land gegenübersteht“, sagte er. „Massive Schulden, geringes Wachstum, hohe Arbeitslosigkeit, gesunkene Wettbewerbsfähigkeit und ein Europa, das sich schwertut, die Krise zu bewältigen.“
Um das Vertrauen wiederzufinden, müsse sich die Bevölkerung ungeachtet ihrer Herkunft, ihres Alters oder Wohnorts einen und versöhnen, damit „Differenzen nicht zu Spaltungen“ würden.
Zu seinen Initiativen zählte er eine neue Phase der Dezentralisierung und einen Ausbau der lokalen Demokratie sowie der Sozialpartnerschaft auf. Mit seiner Kultur und Sprache müsse Frankreich in seiner universalistischen und humanistischen Tradition auf die Welt ausstrahlen.
Ein neuer Pakt
„Um die Krise zu überwinden, braucht Europa Projekte, Solidarität und Wachstum. Ich schlage darum unseren Partnern einen neuen Pakt vor, der den notwendigen Abbau der öffentlichen Verschuldung mit der unentbehrlichen Stimulierung der Wirtschaft verbindet“, sagte Hollande.
Hollande wurde bei der Zeremonie wie jeder Präsident zum Großmeister der Ehrenlegion erklärt und mit 21 Schüssen Salut als neuer Präsident begrüßt. Nach einer Kranzniederlegung am Arc de Triomphe und einer Rede am Pariser Rathaus wurde Hollande am Abend zu einer Unterredung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel erwartet.
15 May 2012
AUTOREN
ARTIKEL ZUM THEMA
Der langjährige Bürgermeister von Nantes, Jean-Marc Ayrault, tritt sein Amt als neuer Premier von Frankreich an. Er versteht sich als Freund Deutschlands.
Um Deeskalation bemüht: Das erste Treffen von Francois Hollande und Angela Merkel blieb höflich distanziert. Die Sticheleien aus dem Wahlkampf sind nicht vergessen.
Frankreichs neuer Präsident kommt direkt nach seiner Vereidigung nach Berlin, noch vor seiner Regierungsbildung. Was er sich wünscht, hat er deutlich gemacht.
Merkel gerät mit ihrem Sparkurs zunehmend unter Druck. EU-Politiker wollen mehr Geld ausgeben und die Wirtschaft ankurbeln. Merkel ist dagegen.
Frankreichs zukünftiger Präsident Hollande scheint im Streit um den EU-Fiskalpakt auf einen Kompromiss zu setzen. Die Bundesregierung zeigt sich allerdings hart.
Franzosen und Griechen wollen Investitionen und nicht mehr bloßes Sparen, sagt Daniel Cohn-Bendit. Angela Merkel wird ihren Kurs sozialdemokratisieren müssen, meint er.
In Brüssel reden viele dem französischen Wahlsieger Hollande nach dem Mund. Doch die Krise in Griechenland könnte seine Agenda torpedieren.
Die deutsche Alleinherrschaft in Europa ist vorbei: Die französischen WählerInnen haben dafür gesorgt, dass wieder verhandelt werden muss.