taz.de -- Islamisten eskalieren Konflikt um „Pro NRW“: „Tötet alle Pro-NRW-Mitglieder“
Das Innenministerium nimmt die Drohung ernst: Ein Bonner Dschihadist ruft zu Attentaten auf Anhänger der rechtsextremen Partei „Pro NRW“ auf.
BERLIN taz | Die Auseinandersetzung zwischen gewaltbereiten Islamisten und Islamfeinden in Deutschland droht weiter zu eskalieren. In einem einflussreichen dschihadistischen Internetforum ist am Wochenende ein Aufruf aufgetaucht, Mitglieder der rechtsextremen Partei „Pro NRW“ zu ermorden. Die Sicherheitsbehörden halten die Audiobotschaft für echt.
In dem siebenminütigen Clip fordert der aus Bonn stammende Dschihadist Yassin Chouka, der als Propagandist der im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet agierenden Terrorgruppe „Islamische Bewegung Usbekistan“ (IBU) auftritt: „Ihr sollt die Mitglieder der Pro NRW alle töten.“ Man solle Informationen über Wohnorte, Arbeitsplätze und tägliche Routinewege sammeln, um dann „am besten im Schutz der Dunkelheit oder im Morgengrauen“ zuzuschlagen und die Rechten zu ermorden.
„Wir nehmen die Drohung ernst“, sagte der Sprecher des nordrhein-westfälischen Innenministeriums der taz. Der Aufruf sei sehr konkret, einzelne Personen würden darin aber nicht genannt. Ob die Funktionäre der rechtsextremen Partei nun unter Polizeischutz stünden, wollte der Sprecher nicht sagen.
Strategie der „maximalen Provokation“
In den vergangenen Wochen war es in Deutschland zum ersten Mal zu einem öffentlich ausgetragenen Konflikt zwischen Islamisten und Islamfeinden gekommen. Auslöser war eine Strategie der „maximalen Provokation“ der selbsternannten „Bürgerbewegung“ Pro NRW, die im Landtagswahlkampf vor Moscheen und anderen islamischen Einrichtungen Mohammed-Karikaturen zeigte. Bei einer Demo gegen die Aktion in Solingen schwenkten Salafisten Dschihad-Fahnen und griffen die Polizei an.
In Bonn randalierten mehrere hundert der militanten Islamisten, warfen Steine und sogar Gullydeckel. Knapp 30 Polizisten wurden verletzt, zwei durch Messerstiche schwer. Dem Angreifer wirft die Staatsanwaltschaft versuchten Mord vor. In Köln wurden in der Woche vor der Wahl weitere Gewaltexzesse nur durch ein Aufgebot von 1.000 Polizisten verhindert.
Der aus Bonn stammende Dschihadist Yassin Chouka und sein Bruder Monir waren seit 2009 immer wieder in Propaganda- und Drohvideos der von Pakistan aus agierenden IBU aufgetreten – ohne dass dies bisher in Deutschland direkte Folgen gehabt hätte. Auch nach dem Mordaufruf gegen Pro-NRW-Mitglieder heißt es nun: Das für die Gefahreneinschätzung zuständige BKA habe keine Hinweise auf unmittelbar bevorstehende Gewalttaten durch Islamisten.
Eine indirekte Gefahr solcher Drohungen wird aber in Sicherheitskreisen gesehen: Selbstradikalisierte junge Männer könnten sich animiert fühlen, auf eigene Faust zuzuschlagen. So wie der 21-Jährige Arid Uka, der im März 2011 am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten erschoss. Er hatte sich durch dschihadistische Propaganda aus dem Internet indoktrinieren lassen, darunter waren auch Videos der IBU. Noch auf dem Weg zum Attentat hörte er eine Kampfhymne der Chouka-Brüder, in der es hieß: „Ich bin im Dschihad.“
20 May 2012
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Mit modernen Mitteln gegen die Moderne: Terrorforscher legen die erste große deutsche Studie über die Propaganda von Dschihadisten im Netz vor.
Die Razzien bei den Salafisten mögen notwendig sein. Polizeiliche Maßnahmen dürfen aber nicht das einzige Mittel im Kampf gegen die Radikalisierung sein.
Salafisten rufen zu einer Großkundgebung in Köln auf. Innenminister Friedrich droht mit Sanktionen. Er denkt auch an ein Verbot der salafistischen Vereine.
Ein Salafist türkischer Staatsangehörigkeit verbreitete Drohvideos und rief zum bewaffneten Kampf auf. Das Land Baden-Württemberg will ihn nun ausweisen.
Der Mordaufruf gegen Pro-NRW-Mitglieder und Journalisten alarmiert die Sicherheitsbehörden. Konkrete Hinweise auf Attentate gebe es bislang aber noch nicht.
Der Mordaufruf eines Bonner Dschihadisten beschäftigt die Generalbundesanwaltschaft. Konkrete Anschlagspläne gegen Mitglieder von Pro NRW soll es nicht geben.
Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz ist richtig, sagt SPD-Politiker Tom Schreiber. Prävention sei jedoch wichtiger als Repression
Ein Polizist in NRW ist vom Dienst suspendiert worden, weil er der rechtsextremen Splitterpartei Pro NRW angehört. Die Aachener Polizei prüft nun, ob er gegen das Beamtenrecht verstoßen hat.
Der Verfassungsschutz intensivierte die Beobachtung der radikal-islamistischen Szene und sieht keine Fehler bei Ermittlungen zum Neonazi-Untergrund.
Nach den Ausschreitungen mit Beteiligung von Salafisten fordert ein FDP-Politiker ihre Ausbürgerung. Die Linke hält den Vorschlag für rechtspopulistisch.