taz.de -- Eurovision Song Contest in Baku: Schnulzenkult trifft auf Personenkult
In Aserbaidschan sorgt der Alijew-Clan mit Prestigeprojekten für seinen Machterhalt. Der Eurovision Song Contest kommt da recht. Aber die Oppositin hat auch Pläne.
MÖNCHENGLADBACH taz | Bei einer Reise durch Aserbaidschan merkt man auch ohne Sprachkenntnisse schnell, wer hier das Sagen hat. Will man mit dem Wagen von Aserbaidschans Hauptstadt Baku in die 200 Kilometer entfernte Provinzstadt Gabala, geht es auf der besten Straße der Republik vorbei an unzähligen Riesenplakaten mit den Konterfeis von Aserbaidschans langjährigem Präsidenten Heidar Aliew und dessen Sohn und heutigem Präsidenten, Ilcham Aliew.
„Strenge dich für dein Volk an, damit die Republik gestärkt wird!“ prangt es unter einem dieser Plakate und „Ein Land, das eine starke Wirtschaft hat, ist zu allem in der Lage“ verkündet Aliew senior auf einem anderen Plakat. Wer in Aserbaidschan mit der eigenen Firma erfolgreich sein will, hängt Alijew-Plakate auf dem Firmengelände auf oder benennt den firmeneigenen Park nach dem verstorbenen Präsidenten Heidar Alijew. Die Straße nach Gabala, so sagen böse Zungen, sei deswegen erstklassig, weil sie Mechriban Alijewa, die Frau des Präsidenten, jede Woche nutzt, um auf ihren Landsitz zu gelangen.
Nicht erst seit der Unabhängigkeit im Oktober 1991 ist die Kaukasusrepublik fest in der Hand der Familie Alijew. Der frühere Präsident Heidar Alijew, der Vater des derzeitigen Präsidenten Ilcham Alijew, regierte die Republik von 1993 bis 2003. In Wahlen, die nach der OSZE nicht frei und fair waren, wurde Ilcham Alijew, der Sohn von Heidar Alijew, zu seinem Nachfolger gekürt. Heidar Alijew, bereits 1966 vier Jahre lang KGB-Chef und anschließend 13 Jahre Chef der aserbaidschanischen KP, bevor er im Politbüro und Ministerrat in Moskau tätig war, war schon zu Zeiten der Sowjetunion der starke Mann in Aserbaidschan.
Auch in der Hauptstadt Baku gibt es kaum eine Straße, die nicht mit einem riesigen Plakat von Alijew junior oder Alijew senior geschmückt wäre. Die Schlagzeilen des beliebten aserbaidschanischen Internetportals day.az am Wochenende sind typisch für die aserbaidschanische Medienwelt: Von vier Schlagzeilen gelten drei dem Präsidenten, seiner Frau und seiner Tochter, lediglich die vierte Schlagzeile kündigt die Wettervorhersage an. Anfang Mai stellte Lejla Alijewa, die Tochter von Präsident Alijew und gleichzeitig stellvertretende Präsidentin der Heidar-Alijew-Stiftung, im Zentrum von Baku ihre Werke aus.
1 Milliarde Euro für den Contest
Heute ist Aserbaidschan auf der internationalen Bühne angekommen. Am 1. Mai übernahm es den Vorsitz im UNO-Sicherheitsrat. Der Eurovision Song Contest, dessen Komitee-Leitung die First Lady des Landes, Mechriban Alijewa, innehat, ist ein weiterer Meilenstein in Aserbaidschans Bemühungen um Ansehen in der Welt. Damit der ESC in Baku zu einem Superlativ der Superlative wird, hat man keine Mühen gescheut. Hunderte von Autobahnkilometern wurden gebaut, Plätze neu gestaltet, der Strandboulevard um mehrere Kilometer verlängert.
Architektonischer Höhepunkt ist der Konzertkomplex „Kristallhalle“, der nach Angaben von Radio Liberty mehr als 120 Millionen Dollar gekostet hat. Direkt daneben befindet sich der „Flaggenplatz“ mit der zweitgrößten Flagge der Welt, fast so groß wie ein Fußballfeld. Insgesamt liegen die Kosten für das Land, dessen Durchschnittseinkommen 400 Euro beträgt, bei fast 1 Milliarde Euro.
Aserbaidschans Elite weiß dieses neue Selbstbewusstsein für den Erhalt der eigenen Macht und die Durchsetzung der politischen Ziele zu nutzen. Propaganda für Aserbaidschan ist zugleich Propaganda für Aserbaidschans Außenpolitik, durch die sich die Bemühung um eine Isolierung Armeniens auf der internationalen Bühne wie ein roter Faden zieht. Angesichts der antiarmenischen Rhetorik ist die Absage Armeniens, keine Delegation zum Song Contest nach Baku zu entsenden, nachvollziehbar.
Auch die Opposition in Aserbaidschan steht der Alijew-Regierung unversöhnlich gegenüber. Sie hatte die Präsidentschaftswahlen 2008 boykottiert, der Regierung nach den Parlamentswahlen von 2010 Wahlbetrug vorgeworfen. Vereinzelte Freilassungen einiger Gefangener in der jüngsten Zeit und die Genehmigung einiger Kundgebungen sind für sie keine realen Fortschritte. 4.000 Häuser sind in den letzten drei Jahren gegen den Willen ihrer Bewohner niedergerissen, kritisieren Menschenrechtler. Sie planen deswegen auch während des ESC Aktionen.
Musikprotest
Im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten steht ein Hungerstreik, in den zahlreiche politische Gefangene am 15. Mai getreten waren. Die von Amnesty International als Gewissensgefangene adoptierten Gefangenen fordern die Freilassung aller politischen Gefangenen in Aserbaidschan. Mit ihnen hungern auch einige ihrer Verwandten in den Büros der Oppositionspartei Musavat. Am Samstag berichtete das Internetportal „contact.az“, das täglich über Menschenrechtsverletzungen in dem Land informiert, die Gefängnisleitung habe als Reaktion auf den Hungerstreik die Haftbedingungen der Streikenden verschärft. Mindestens sieben Häftlinge seien nun in Strafzellen gebracht worden, wo sie in Einzelhaft festgehalten werden.
Auf einer Veranstaltung parallel zum ESC wollten Künstler unter dem Motto „Sing for Democracy“ auftreten. Einer von ihnen, der junge Songwriter Jamal Ali, wird nicht dabei sein können. Er floh vor wenigen Tagen vor Polizeigewalt nach Berlin. Tausende von „Spaziergängern“ wollen bei einem Gang durch die Fußgängerbereiche auf T-Shirts Versammlungsfreiheit fordern.
Arsu Abdullajewa, Vorsitzende der Helsinki Citizens Assembly und langjährige Menschenrechtsaktivistin, sagte der taz, sie wisse von weiteren Aktionen, die Oppositionsparteien und Nichtregierungsorganisationen für die Zeit des Contest planten. Die Organisatoren hätten jedoch vereinbart, nichts Näheres über diese Aktionen am Telefon zu besprechen. „Auch mein Telefon wird seit Jahren abgehört“ so Abdullajewa. Sie freut sich darüber, dass Baku Austragungsort des ESC sein kann. „Es ist ein sehr schönes Fest. Es ist nur schmerzhaft, dass nicht alle an diesem Fest teilhaben können.“
21 May 2012
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Dieter Thomas Kuhn kann keine Lieder schreiben und ist trotzdem gerade auf Deutschland-Tournee. Ein Gespräch mit dem Schlagersänger.
Bei der Vorstellung des Amnesty-Jahresberichts wurde harte Kritik am Assad-Regime geübt. Auch die Ukraine und Aserbaidschan wurden aus aktuellem Anlass angegriffen.
Acht Großmütter aus Buranowa mischen den Eurovision Song Contest auf: Sie betören mit Zahnlücke und Goldzahn. Zuhause arbeiten sie trotzdem weiter im Stall.
Die Schweiz ist boring, Belgien langweilt und San Marino – komponiert von Ralf Siegel – ist Favoritin auf den allerletzten Platz. Und Albanien tut weh.
Es ist der ultimative Hit zur Krise: Im Halbfinale des Eurovision Song Contest singt Rambo Amadeus für Montenegro „Euro Neuro“. Nicht hirnlastig und wirklich groovy.
Er ist aus Aserbaidschan nach Deutschland geflohen: Denn der Sänger und Gitarrist Jamal Ali sagt und singt, was er denkt. Auch über den ESC.
Er kann alles. Auch erklären, woher die Bezeichnung „Aseri“ kommt: Rashad Pashazade, einer der ESC-Volunteers in Baku, ist stolz, sein Land zu präsentieren.
Frühling in Batumi: Die berühmtesten Bewohner dieser georgischen Stadt sind Joseph Stalin und Katie Melua. Doch in der Altstadt regiert Medea.
Das ölreiche Aserbaidschan wird von einer undemokratischen und korrupten Elite rund um den Clan von Präsident Alijew regiert. Daran ändert auch der ESC nichts.
Roman Lob wird Deutschland beim Eurovision Song Contest vertreten. Ein Gespräch über Zuhause, Piraten und Aserbaidschan.
Die ARD reagiert auf die Debatte um Menschenrechte und das Pop-Event: Der Unterhaltungskoordinator der ARD will künftig die Zugangsbedingungen zum ESC prüfen lassen.
Thomas D fliegt nächste Woche nach Baku und wird dort sehr viel reden müssen. Er hofft auf seinen Schützling Roman Lob. Bei Menschenrechtsfragen bleibt er nüchtern.
Treffen der Schnulzenbarden? Von wegen. Die Songs der Interpreten in Baku sind voller versteckter politischer Botschaften – eine Top Ten.