taz.de -- Exilmusiker über den ESC: Protestlieder im „idiotischen Land“

Er ist aus Aserbaidschan nach Deutschland geflohen: Denn der Sänger und Gitarrist Jamal Ali sagt und singt, was er denkt. Auch über den ESC.
Bild: Jamal Ali konnte einer Festnahme entfliehen: Die Polizei in Baku bei einer Demonstration.

taz: Herr Ali, vor drei Tagen sind Sie aus Aserbaidschan nach Deutschland geflüchtet. Warum?

Jamal Ali: Ich konnte nicht länger in Baku bleiben. Im Mai habe ich mit einem Freund, einem Regisseur, einen Videoclip produziert. Das war wieder ein Protestlied. Ich habe darüber gesungen, was mir nicht passt. Der Staat lässt die Häuser von Menschen zerstören und dafür riesige Konzerthallen bauen, um dort unbedeutende, unwichtige Dinge, wie den Eurovision Contest, zu zelebrieren.

Hatten Sie wegen Ihrer kritischen Lieder schon vorher Probleme mit dem in Aserbaidschan herrschenden Regime?

Am 17. März war ich als Musiker zu einer Demonstration eingeladen. Dort wurde ich festgenommen und für zehn Tage inhaftiert. Der Polizei gefielen meine Lieder und auch der Umstand nicht, dass ich später auf der Straße auch noch die Präsidentenfamilie kritisiert habe. Schon damals haben sie mir deutlich gesagt, dass, wenn ich so etwas noch einmal machen würde, ich länger sitzen müsste. Daher habe ich mich jetzt dafür entschieden, Aserbaidschan zu verlassen.

Welcher Art ist Ihre Musik?

Ich spiele Gitarre und singe Lieder, die ausdrücken, was ich denke. Das sind Lieder über mein Leben, über alles, was mit mir passiert. Ich lebe in einem idiotischen Land, wo idiotische Dinge passieren. Daher sind meine Texte natürlich auch manchmal politisch. Das kann Rockmusik sein, morgen vielleicht aber auch Jazz.

Wie würden Sie die aktuelle Situation in Aserbaidschan beschreiben?

Die Menschen haben einfach Angst, ihre Meinung zu sagen. Und dazu bekommen sie auch keine Möglichkeit. Sie haben überhaupt keine Freiheiten, und die Mehrheit hat sich schon längst damit abgefunden, dass Präsident Alijew bis zum Ende des Jahrhunderts herrschen wird. Die Aserbaidschaner wollen sich auch schon nicht mehr dagegen auflehnen. Ich aber bin damit nicht einverstanden. Solche Leute wie ich lassen sich das freie Denken nicht verbieten und wollen, dass sich etwas zum Besseren verändert.

Haben Sie schon konkrete Pläne, was Sie jetzt tun wollen oder wohin Sie wollen?

Nein, so etwas gibt es bei mir nicht. Ich lebe spontan. Aber eins ist klar: Nach Baku werde ich lange Zeit nicht zurückkehren. Denn wenn ich das tun würde, wüsste ich sofort, was mit mir passieren würde. Ich würde sofort wieder ins Gefängnis kommen.

Wollen Sie in Deutschland politisches Asyl beantragen?

Vielleicht. Darüber denke ich jetzt gerade nach.

21 May 2012

AUTOREN

Barbara Oertel
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