taz.de -- Kolumne Ostwärts Immer: Eis und ein Handschlag
Spontaner High-Five-Handschlag und ein kameradschaftliches „Niemcy!“: Ein Treffen mit polnischen und ukrainischen Freunden Deutschlands.
In Polen und der Ukraine haben Deutsche verdammt viel Unheil angerichtet. Rafal scheint das nicht groß zu interessieren. Sein Imbiss steht nur ein paar Kilometer entfernt von der Westerplatte, wo die ersten Schüsse im Zweiten Weltkrieg fielen, doch der vierschrötige Kerl lebt erkennbar nur im Hier und Jetzt.
Rafal, der Waffeln und Eis am Strand von Danzig verkauft, hält mich erst für einen Schweden. Als ich ihm sage, dass ich Deutscher sei, zwingt er mich zu einem spontanen High-Five-Handschlag. „Niemcy!“, sagt er und schaut dabei, als habe er den Heiligen Gral entdeckt.
Auch Denys Trubetskoy ist ein Freund der Deutschen. Der ukrainische Journalist kommt aus Sewastopol. Obwohl er erst drei Jahre Deutsch lernt, spricht er fast perfekt. Denys arbeitet für das Internetportal isport.ua, bald wird er erstmals in sein Traumland Deutschland fahren.
Es trifft sich gut, ihm im Lemberger Medienzentrum über den Weg zu laufen. Wie ist das in der Ukraine so? Was denkt ein 19-Jähriger über die politischen Verhältnisse? Denys erläutert die Lage in druckreifen Sätzen. „Es gibt leider keine dritte Kraft in der Ukraine, die für Demokratie steht, das ist schade.“ Was ist mit Julia Timoschenko? „Sie ist eine Populistin. Sie gehört hinter Gitter, weil sie sich total bereichert hat.“ Die Anklage lautete aber anders? „Ja, die Anklage ist lächerlich, aber wenn Präsident Wiktor Janukowitsch sie wegen der echten Vergehen anklagen würde, müssten alle ukrainischen Politiker ins Gefängnis.“ Na ja, außer Vitali Klitschko vielleicht, Chef der Partei UDAR.
Von Janukowitsch hat er auch keine hohe Meinung. „Er stand schon zweimal in Donezk vor Gericht, einmal wegen Vergewaltigung. Und so einer ist Präsident.“
Ob ich froh sei, in Deutschland zu leben, fragt mich Denys. Ja, das sei kein schlechtes Land. „Wir hatten fast 400 Jahre Diktatur unter den Russen und den Sowjets, so schnell geht das bei uns nicht mit dem Fortschritt“, sagt er. Er weiß, dass die Oligarchen sein Land im Griff haben. Zum Beispiel Rinat Achmetow, der reichste Ukrainer. Achmetow ist Eigner eines Firmenimperiums und des Fußballklubs Schachtjor Donezk.
Denys ist froh, dass die halbe Welt in die Ukraine gekommen ist. Er saugt all die neuen Eindrücke auf wie ein Schwamm. „Diese EM ist dafür da, dass sich mein Land in die richtige Richtung entwickelt.“ Falls nicht, weiß Denys, wo er hingehen wird.
11 Jun 2012
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Dauerregen an der polnischen Ostseeküste. Die seltenen Regenpausen nutzt man hier nur zu einem Zweck: Endlich mal trocken von A nach B kommen.
Die Spielerfrauen sind fester Teil der Nationalelfkarawane. Eine gilt als besonders nett, eine studiert BWL, eine ist sehr dünn – und der Star ist ein echtes Model.
Es ist zu heiß, zu kalt, zu nass. Die Favoriten schwächeln, die Spieler halten sich nicht an Taktik. Aber ist es auch superspannend und der böse Präsident wird nicht gezeigt. 11 Blicke auf die EM.
Wladimir ist Fan von Dynamo Kiew und trinkfest. Dass er heute sogar friedlich neben einem Fan vom Sowjet-Erzrivalen Spartak Moskau sitzen kann, liegt an der EM.
Der Vollrausch verhindert den Ausflug in die Vergangeheit. Das passiert schnell: Ein Nullfünfer-Bier kostet 1,25 Euro.
Die irischen Turnierquartalstrinker haben der EM einen wunderbar emotionalen Moment geschenkt. Auch Polens Fans wollen würdevoll trauern, doch nicht allen gelingt das.
Motorblöcke hochziehen, Bankdrücken, Schluss mit den dünnen Berliner Büroarmen. Der EM-Reporter auf dem Weg zu einem richtigen ukrainischen Mann.
Wadim hätte ein großer Fußballer werden sollen. Wurde er aber nicht. Der 66-jährige Gleisbauer bolzt noch immer.
Zum Glück spielen die Engländer nicht in Polen. Denn seit die BBC den vermeintlichen Rassismus des EM-Gastgebers gegeißelt hat, ist das Land not amused.
Für die polnischen Ko-Gastgeber ist es das Spiel der Spiele. Das hat nicht nur sportliche Gründe, sondern vor allem auch politische und historische. Ein Überblick.
Zu Gast im Charkower Plattenbau – grün ist es dort. Und auch der Schnaps im Nachbarschaftszentrum mit angeschlossenem Wettbüro darf nicht fehlen.
Der Kofraktionsvorsitzende der Grünen im EU-Parlament über seine Liebe zur französischen Mannschaft, die Notwendigkeit von politischem Protest und den neuen Patriotismus.
Das Zählen der Straßenhunde fällt schwer. Die systematische Ausrottung der räudigen Streuner ist offensichtlich nicht zu Ende gebracht worden.
Benzin, Alkohol, Zigaretten: Am Übergang Korczowa/Krakowez leiden Händler unter der schleppenden Abfertigung – trotz zweier neuer Trassen.