taz.de -- Ukraine vor dem entscheidenden Spiel: Zurück zur schwarzen Pädagogik
Vor der entscheidenden Partie gegen England ist die gute Stimmung in der Ukraine verflogen. Trainer Oleg Blochin prügelt selbst auf sein Team ein.
DONEZK taz | Kann er oder kann er nicht? Vor dem Alles-oder-nichts-Spiel in Gruppe D gegen England steht einmal mehr Andrij Schewtscheko im Blickpunkt. Das Knie tut weh. Schon im [1][Spiel gegen Schweden] hat er einen Schlag abbekommen. Dass er im [2][Frankreichspiel] an derselben Stelle noch einmal von einem Fußballstiefel getroffen wurde, hat die Sache nicht besser gemacht.
Müssen die Ukrainer am Dienstag gegen die Engländer wirklich ohne ihr matchwinnendes Maskottchen auskommen? Die Angst geht um im ukrainischen Team, das nach dem ersten Spiel in Kiew vor beeindruckender Kulisse nach Donezk umgezogen ist, wo es zumindest Trainer Oleg Blochin bis jetzt gar nicht so gut gefallen hat.
Der Fußballkrieg in der Ukraine, der sich im Zweikampf des von dem [3][Superoligarchen Rinat Achmetow] gepäppelten aktuellen Meisters Schachtjor Donezk mit Dynamo, dem Kiewer Kultklub mit Sowjettradition, manifestiert, hat die Nationalmannschaft erreicht.
Die Pfiffe der ukrainischen Zuschauer beim Spiel gegen Frankreich hat [4][Oleg Blochin,] durch und durch ein Dynamo-Mann, noch nicht vergessen. „Was soll das?“, hat er gefragt. „Wenn wir gewinnen, dann ist alles gut. Und wenn wir verlieren, werden wir erschossen.“
Alle Euphorie dahin
So nicht, denkt sich der Trainer. Und das ganze Land denkt darüber nach, ob vor dem Turnier die richtige Balance zwischen den ostukrainischen Fußballparvenüs und den stolzen Hauptstädtern gefunden wurde. Um den beiden Fußballzentren gerecht zu werden, war man auf die Idee gekommen, nach den ersten Tagen in Kiew nach Donezk umzuziehen. Die Pfiffe in der Donbass-Arena und die erregten Reaktionen von Blochin darauf lassen darauf schließen, dass sich die Kiewer aber hier nicht wirklich wohlfühlen. Blochin wäre wohl lieber in der Hauptstadt geblieben.
Beinahe nichts ist übrig von der Euphorie, die der [5][Auftaktsieg gegen Schweden] ausgelöst hatte. War man zunächst noch stolz auf den wiederauferstandenen Superstar Schewtschenko, auch er ein Dynamo-Mann, so ist man jetzt schon wieder genervt von all den Transfergerüchten, die es über den 35-Jährigen mit einem Mal gibt.
War man vor einer Woche noch stolz, dass sich der FC Chelsea angeblich wieder für Schewa interessiert, so reagiert man nun eher gereizt auf die Gerüchte, der Stürmer werde in die USA wechseln. Das mache er doch nur, weil man da drüben bessere Golfplätze habe, wird gelästert.
Lieblingsbeschäftigung: Lästern
Lästern, das ist auch eine Lieblingsbeschäftigung von Oleg Blochin. Er tut gerade wieder so, als könne keiner seiner Spieler richtig mit dem Ball umgehen. Einerseits sagt er, es sei ungerecht, die Mannschaft auszupfeifen, man solle lieber ihn, den Trainer auspfeifen, andererseits lässt er kein gutes Haar an den Spielern. Die hätten nichts von dem in die Tat umgesetzt, was gegen Frankreich geplant gewesen sei.
„Es ist absolut verboten, so zu spielen“, stellte er fest und hofft wohl, dass diese Negativmotivation aus dem Repertoire der schwarzen Pädagogik so wie im Auftaktspiel eine positive Reaktion auslöst. Vor dem Schweden-Spiel hatte er alle Stürmer mit Ausnahme von Schewtschenko als unfähig bezeichnet. Sollte der nicht spielen können, sind ausgerechnet diese Nieten gegen England gefordert.
19 Jun 2012
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