taz.de -- Kommentar Proteste Spanien: Europa zerfällt
In Spanien protestieren Gewerkschaften und Organisationen gegen die Sparmaßnahmen der Regierung. Hilfe aus Brüssel gibt es nicht umsonst, das ist das Problem.
Der „Marsch auf Madrid“ vom Samstag bildete den Auftakt für einen geplanten heißen Herbst. Gewerkschaften und 900 Organisationen aus dem ganzen Land wollen das Sparpaket von 65 Milliarden Euro in den kommenden drei Jahren nicht einfach hinnehmen. Die Hauptforderung der Protestierenden ist eine Volksabstimmung über die Bankenrettung und die wohl anstehende Anfrage an die Europäische Zentralbank (EZB), Spanien mit dem Aufkauf von Staatsanleihen zu unterstützen. Hilfe aus Brüssel gibt es nicht umsonst, genau das ist das Problem.
Denn im Wahlprogramm, mit dem Ministerpräsident Mariano Rajoy vor nur zehn Monaten antrat, stand von all dem nichts. Seine Politik ist genau das Gegenteil dessen, was er versprach. Bis auf die Renten ist vor der Kürzungswut der Regierung nichts sicher. Die Menschen in Spanien, auch viele, die den Konservativen ihre Stimme gaben, fühlen sich betrogen. Denn nichts von dem, was sie über sich ergehen lassen müssen, ist demokratisch legitimiert.
Die Krisenpolitik Europas, wird in Berlin diktiert und in den Amtsstuben der Eurokraten umgesetzt. Die nationalen Regierungen sparen dabei wird immer an gleicher Stelle, bei den Sozialausgaben, den Löhnen im Öffentlichen Dienst, bei der Bildung und im Gesundheitssystem. Die Steuern für die breite Bevölkerung werden erhöht, während die Besserverdienenden und die großen Unternehmen verschont bleiben. Die betroffenen Länder sinken immer tiefer in die Rezession. Die Arbeitslosigkeit ist in Spanien auf mittlerweile über 25 Prozent gestiegen.
Einst galt den Spaniern die EU als Garant für Freiheit und Demokratie nach langen Jahren der Diktatur. Jetzt ist es genau dieses Europa, das alles aushebelt, auf was die Spanier stolz sein dürfen. Nicht nur der Wohlstand, auch die sozialen Rechte werden auf dem Altar der Haushaltsstabilität geopfert. Wohin das führt, darüber macht sich keiner Illusionen. Ein Blick ins benachbarte Portugal und nach Griechenland zeichnet den Weg vor.
Dass die einstige Europabegeisterung in Europamüdigkeit umschlägt ist den Betroffenen nicht zu verdenken. Das Zusammengehörigkeitsgefühl in der EU nimmt schweren Schaden. Nicht nur im Süden, auch im Norden kehren die alten Vorurteile zurück. Dies – und nicht nur die reinen Zahlen – sollen Berlin und Brüssel ernstgenommen werden. Europa war einmal mehr als eine gemeinsame Währung.
16 Sep 2012
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Generalstreik in Portugal und Spanien: Die Menschen protestieren so gegen die Sparauflagen der EU. Und was ist mit unserer Solidarität?
Strom und Wasser sind abgestellt. Trotzdem kann Manoli Cortés dem improvisierten Leben in der Corrala Utopía etwas Positives abgewinnen.
Premier Rajoy spart radikal. Um die Vorgaben der EU zu erfüllen, kürzt Madrid erstmals bei Rentnern. Dennoch steigen die Zinsausgaben auf Rekordniveau.
Dank exzessiver Staatsgewalt eskalieren die Proteste gegen die Sparpolitik in Spanien. Demonstranten verweisen auf getarnte Agents Provocateurs.
Tausende gingen in mehreren spanischen Städten gegen die Sparmaßnahmen der Regierung Rajoy auf die Straße. Bei Protesten gab es am Dienstag mehrere Verletzte.
Von wegen Immobilienkrise in Spanien: Lokale Baulöwen machen schon wieder Geschäfte mit Bettenburgen. Die Umwelt wird darunter leiden.
Die Rente mit 67 kommt. Das Verfahren gegen korrupte Politiker läuft. Die Einigung mit der Troika verzögert sich. Gibt es einen neuen Schuldenschnitt in Griechenland?
Bankenaufsicht und Einlagensicherung müssen für alle EU-Staaten gemeinsam her. Finanzminister Schäuble stellt sich quer. Die Krise wird immer teuerer.
Viele Deutsche fürchten, die Zeche für den Aufkauf ausländischer Staatsanleihen zu zahlen. Aber eine EZB-Intervention wäre umsonst.
Mehrere Hundertausend Menschen machten ihrer Empörung über die Krisenpolitik der spanischen Regierung Luft. Sie sprechen von „schwerwiegendem Wahlbetrug.“
Forderungen des Verfassungsgerichts zum ESM sollen schnell umgesetzt werden. Für Athen zeichnet sich beim Sparen ein Aufschub ab.
Wer bekommt und wer zahlt wieviel in der Eurokrise? Die Bewältigung der Krisensituation ist jedenfalls billiger als die Wiedervereinigung.