taz.de -- Kommentar Armutsbericht: Umverteilen Richtung große Koalition

Philipp Rösler (FDP) ist empört über den Armutsbericht von Ursula von der Leyen (CDU). Das ist sogar logisch. Aber was heißt das schon in dieser Koalition?

Da empört sich Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) womöglich zu Recht: Umverteilung via Steuererhöhungen für Vermögende stand wirklich nicht im schwarz-gelben Koalitionsvertrag. Wenn nun die Renten- und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) den Kabinettskollegen einen [1][Armuts- und Reichstumsbericht vorlegt, der nach Umverteilung riecht], ist Röslers Reaktion nur koalitionslogisch.

Aber was war noch genau koalitionslogisch? Im Bundesrat gibt es eine Mehrheit für die Frauenquote, weil manche CDU-Ministerpräsidentin dafür ist und die große Koalition in Sachsen-Anhalt auch. Von der Leyens Rentenpolitik ist wahrlich nicht radikal, aber doch verblüffend dicht an den Vorschlägen, die in der SPD kursieren. Es steht in jeder Wahlkampffibel, dass Kanzlerin Angela Merkel die Wahl 2013 nur dann für die CDU gewinnen kann, wenn sie halbwegs sozialdemokratisch daherkommt.

Das wird weder der FDP noch Rösler neu sein. Darum ist das großkoalitionäre Gefühl, das sich in so vielen Politikbereichen breitmacht, kein Zufall – und für die FDP ganz schön zwiespältig: Einerseits wird sie davon noch weiter an den Rand gedrückt, als sie es in den Umfragewerten ohnehin schon ist. Nur mit viel gutem liberalem Willen ist die Regierungstätigkeit der FDP derzeit noch als solche zu erkennen. Andererseits ist die Angst vor einer – angeblich – sozialdemokratisierten CDU genau das, was der FDP zum zweistelligen Wahlergebnis 2009 verhalf.

Die schwarz-gelbe Situation ist eigentlich absurd: Da regieren Leute miteinander, die nur gewinnen können, wenn sie sich voneinander abgrenzen. Doch gehen beide Seiten damit das Risiko ein zu verlieren, wenn die Koalition zu sehr wie ein zerstrittener Hühnerhaufen wirkt. Nur die Union hat dabei das Umstiegsticket in eine Regierung mit der SPD sicher.

Bei aller aufkommenden Klage angesichts einer drohenden großen Koalition hat die Klemme der FDP für das Publikum doch einen Vorteil. Denn je stärker Rösler seine Partei – soweit und solange es noch „seine“ ist – wieder in die gute alte neoliberale Stellung bringt, desto deutlicher werden die Konturen auch der anderen. Im besten Fall wird die Union getrieben, sich weit klarer zu einer gemeinsamen Umverteilungspolitik mit der SPD zu bekennen, als ihr selbst lieb ist. Davon profitieren dann wieder diejenigen, die tatsächlich antreten, die Gerechtigkeitslücke in der Gesellschaft zu schließen.

20 Sep 2012

LINKS

[1] /Diskussion-um-Armutsbericht/!102074/

AUTOREN

Ulrike Winkelmann

TAGS

Armutsbericht
Armutsbericht

ARTIKEL ZUM THEMA

Armuts- und Reichtumsbericht: Kränkende Schönfärberei

Die Regierung hat den Armutsbericht aufgehübscht: Kritische Sätze zur Ungerechtigkeit wurden gestrichen. Wie aber gelangt Erkenntnis zur Politik?

Regierung entschärfte Armutsbericht: „Ungleiche Verteilung“ gestrichen

Die Bundesregierung hat in ihrem Armutsbericht einige Passagen entschärft. In ihnen ging es um die Verteilung von Vermögen und ungleiche Lohnentwicklung.

Debatte Arm gegen Reich: Die Überflüssigen

Mit dem US-Wahlkampf kommt mal wieder ans Licht, wie viele Reiche eigentlich ticken. Schaffen sie die Armen ab? Oder siegt das „Eat-the-rich“-Prekariat?

Kommunale Armutsprävention: Monheims langer Atem

Eine mittelgroße Stadt am Rhein setzt auf langfristige Konzepte, um die Benachteiligung von Kindern aus armen Familien zu mildern. Mit Erfolg.

Armut und Reichtum: Mehr Jobs, größere Ungleichheit

Die Ergebnisse des Berichts der Bundesregierung liegen vor: Trotz positiver Entwicklungen ist das Armutsrisiko ist seit 2005 gleich hoch geblieben.

Sozialdemokraten und die Rente: „Solidarrente“ und höhere Beiträge

Der SPD-Vorstand nickt das Konzept zur Alterssicherung von Parteichef Gabriel ab. Das heikle Thema Rentenniveau wurde vorerst allerdings ausgeklammert.

Streit um Rentenpläne: SPD-Linke attackiert Gabriel

Die SPD-Parteiführung zeigt sich im Streit um das Rentenkonzept kompromissbereit. Parteilinke fordern, die Senkung des Rentenniveaus zu stoppen.

Diskussion um Armutsbericht: Um Verteilung geht es nicht

Der Armutsbericht appelliere nur an die Freigiebigkeit der Reichen, sagt Ministerin von der Leyen. Um höhere Steuern gehe es nicht.

Koalitionsstreit um Armutsbericht: Bloß keine Steuererhöhungen

Das Wirtschaftsministerium lehnt den Armutsbericht aus Ursula von der Leyens Arbeitsministerium ab. Armut soll keine Steuerhöhungen für Reiche rechtfertigen.