taz.de -- Streit der Woche: Braucht die Türkei Europa?

Die Türkei wächst wirtschaftlich und emanzipiert sich. Vom möglichen oder unmöglichen EU-Beitritt spricht kaum noch jemand. Ist das gut so?
Bild: In welche Richtung soll es gehen? Die Bosporus-Brücke in Istanbul verbindet den europäischen Teil der Stadt mit dem asiatischen.

Nächsten Dienstag besucht der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan Berlin, trifft Angela Merkel und eröffnet das neue Kanzleigebäude der türkischen Botschaft. Zu den wichtigsten Gesprächsthemen werden die Spannungen zwischen der Türkei und Syrien gehören. Vom EU-Beitritt der Türkei spricht mittlerweile niemand mehr.

Die Türkei hat sich emanzipiert. Längst hat sich das Land in Richtung Süden und Osten orientiert. Wenn Europa die Türkei nicht will, dann will die Türkei auch Europa nicht, so der trotzige Unterton, der die Beziehungen bestimmt. Und die Türkei hat es auch nicht mehr nötig, in Europa für sich zu werben.

Längst hat sich Istanbul zum Finanz- und Wirtschaftszentrum des Landes entwickelt. Neben Asien und Österreich sei auch die Türkei ein interessanter Markt, sagt Advent-Deutschland-Chef Ranjan Sen dem Magazin Wirtschaftswoche zu den Expansionsplänen des Finanzinvestors. Zudem wandern gut ausgebildete Mitarbeiter aus dem Ausland in die Metropolen der Türkei ab. Seit dem Amtsantritt von Erdoğan 2002 hat sich das Bruttoinlandsprodukt verdreifacht, das Pro-Kopf-Einkommen ist von 2600 auf 8000 Euro gestiegen und das Wirtschaftswachstum betrug 2011 8,5 Prozent.

Die Beziehungen zu Europa kühlen ab

Um sich vor der Euro-Finanzkrise zu schützen, hat sich das Land wirtschaftlich immer stärker dem Nahen und Mittleren Osten zugewandt. Die Beziehungen zu Europa kühlen sich, auch durch den wirtschaftlichen Erfolg der Türkei, immer mehr ab.

Jedoch sind viele politische Probleme nach wie vor ungelöst. Das Land erlebt eine Einschränkung von Grundrechten, wie es sie in der Ära des amtierenden Ministerpräsidenten Erdoğan bisher noch nie gab. Zahlreiche Schriftsteller und Journalisten sind inhaftiert. Die Entwicklung einer neuen Verfassung wird dringend erforderlich. Gerade da bräuchte die Türkei ein Vorbild.

Braucht die Türkei Europa?

Sagen Sie es uns! Die taz wählt unter den interessantesten Kommentaren ein oder zwei aus und veröffentlicht sie im Wochenendmagazin sonntaz. Der Kommentar sollte etwa 900 Zeichen umfassen und mit dem Namen und der E-Mail-Adresse der Autorin oder des Autors versehen sein. Oder schicken Sie uns bis Mittwochmittag eine Mail an: [1][streit@taz.de]

23 Oct 2012

LINKS

[1] /streit@taz.de

AUTOREN

Genç

TAGS

Schwerpunkt Türkei
Schwerpunkt Angela Merkel
Schwerpunkt Syrien
Blasphemie
Schwerpunkt Türkei
Schwerpunkt Syrien

ARTIKEL ZUM THEMA

Türkischer EU-Beitritt: Oettinger wettet

Die EU-Kommission findet die „persönliche Meinung“ von Kommissar Oettinger unpassend: Er hatte für einen schnelleren Beitritt der Türkei plädiert.

Merkel trifft Erdogan: „Wir erstarken von Tag zu Tag“

Der türkische Premier Erdogan trifft Kanzlerin Merkel. Bei der Eröffnung der türkischen Botschaft gab er sich moderat. Die Grünen erwarten in der Frage des EU-Beitritts einen Kurswechsel.

Streit der Woche: "Die EU muss der Maßstab bleiben"

Braucht die Türkei Europa? Nein, sagt Aylin Selçuk vom Verein "DeuKische Generation e.V.". EU-Kommissar Štefan Füle widerspricht.

Konflikt an der syrisch-türkischen Grenze: Erdogans syrische Albträume

Die Türkei wollte führende Macht im Nahen Osten werden. Jetzt ist die Freundschaft der türkischen Führung zum syrischen Herrscher Assad in Feindschaft umgeschlagen.

Blasphemieprozess gegen Pianisten: Kulturkampf in der Türkei

Das Verfahren gegen Say ist symptomatisch. Es zeigt den wachsenden Druck konservativer islamischer Kreise und der Regierung auf Künstler und Medien.

Blasphemiestreit in der Türkei: „Ist denn das Paradies eine Kneipe?“

Die Verbreitung eines mittelalterlichen Verses verletze die religiösen Gefühle der heutigen Öffentlichkeit. Der türkische Starpianist Fazil Say steht vor Gericht.

Türkisch-syrischer Grenzkonflikt: Solidarität ja – aber nur keinen Krieg

Europäer, USA und Nato stellen sich offiziell hinter Ankara, doch die Furcht vor einer Eskalation des Streits zwischen der Türkei und Syrien wächst.

Türkei emanzipiert sich von Europa: Welche Krise?

Lieber Regionalmacht im Nahen Osten als dauerhaft Schmuddelkind Europas sein: Unbemerkt von vielen wendet sich die boomende Türkei von der EU ab.