taz.de -- Schewtschenko will in die Politik: Autogramme gegen Stimmen
Wenn am Sonntag in der Ukraine gewählt wird, tritt auch die Fußballikone Andrij Schewtschenko an. Noch bei der EM sagte er kein Wort zur Politik.
Was für eine Befreiung! 2:1 gegen Schweden! Als der Schiedsrichter am späten Abend des 11. Juni das Spiel abpfeift, beginnt auf den Straßen der Ukraine das erste unbeschwerte Fest der Fußballeuropameisterschaft 2012. Andrij Schewtschenko, der 35-jährige Senior der Gastgebermannschaft, scheint mit zwei Kopfballtreffern sein Land erlöst zu haben. Für ein paar Momente verschwinden die düsteren Töne der vorherigen Wochen aus der Berichterstattung über die Ukraine.
Oppositionelle im Knast und Oligarchenmarionetten an der Macht. Viel Gutes war nicht zu hören über das Land, von dem Bundeskanzlerin Angela Merkel gesagt hat, es befinde sich auf dem Weg in eine Diktatur. Im Schlepptau der Bundesregierung machte sich auch der Deutsche Fußballbund für das Schicksal der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko stark.
Aber seit am 1. Juli nach dem Finale von Kiew der EM-Pokal verliehen wurde, rückte die Ukraine, was das Interesse betraf, wieder an den Rand Europas. Am Sonntag kommender Woche wird dort nun ein neues Parlament gewählt. 4.000 Wahlbeobachter reisen an. Wieder wird das Geschehen vor Ort vom Westen aus kritisch verfolgt.
Andrij Schewtschenko, der gegen Schweden die Bälle ins Tor köpfte, kennt den Westen gut. Er spielte beim AC Mailand in Italien und beim FC Chelsea in London, dort wurde er reich und berühmt. Jetzt, in den Tagen des Wahlkampfs, spricht er auch über seine Jahren im Ausland. Es war für viele Ukrainer eine Überraschung, als Schewtschenko im Juli verkündete, mit dem Fußball aufhören und zur Wahl antreten zu wollen.
Schon früher war er gefragt worden, ob er nicht in die Politik einsteigen wolle. Er, der Millionär, der so gern Golf spielt, der Freund von Giorgio Armani, für den er in der Ukraine zwei Nobelboutiquen betreibt, hat das stets abgelehnt. Auch während der EM, als er oft nach der Inhaftierung von Julia Timoschenko gefragt wurde, äußerte er sich nicht, bezog er nie Stellung. Nun steht er als bekennender Wirtschaftsliberaler auf Listenplatz zwei der Partei „Ukraine vorwärts!“, die von der früheren Unternehmerin (Rinder, Schweine, Speiseeis und Kohle) Natalia Korolewska angeführt wird.
Guter Werbeträger
Die 37-Jährige mit dem botoxglatten Antlitz wirbt seit dem Frühjahr auf beinahe jeder freien Wand im Land für sich. Dennoch wollte sich zunächst niemand so recht für die Frau begeistern, die einst zum Lager der früheren Ministerpräsidentin Timoschenko gehörte. Seit Andrij Schewtschenko für ihre Partei antritt, hat sich das geändert, er ist ein guter Werbeträger. Menschen kommen zu den Wahlveranstaltungen, nur um sich ein Autogramm von Schewtschenko zu holen. Aber immerhin kommen welche. Das Überspringen der Fünfprozenthürde ist schnell realistischer geworden.
Doch wem würde das nützen? Korolewska tut alles, um zu versichern, sie stehe in Opposition zum Regierungslager um die Partei der Regionen von Staatspräsident Wiktor Janukowitsch. Doch daran gibt es Zweifel.
Ihr wird vorgeworfen, dass das Geld, das sie für ihre irre Werbekampagne ausgegeben hat, von ostukrainischen Oligarchen stammt, jenen Männern, die das System Janukowitsch seit jeher stützen. Mit dem Päppeln einer Scheinopposition wollen sie zum Machterhalt seiner Partei beitragen. Die kann mit 20 Pozent der Stimmen rechnen und zudem mit Direktmandaten, die sie umso leichter erringen kann, je mehr Gegenkandidaten sich um einen Sitz streiten.
Scheinopposition?
Den Vorwurf, Scheinopposition zu sein, muss sich auch die Partei Udar (Deutsch: Schlag) des Boxprofis Vitali Klitschko gefallen lassen. Auch er soll seinen Wahlkampf mit Oligarchengeld finanziert haben und wurde immer wieder für seine Kontakte zum Gasversorger RosUkrEnergo kritisiert.
Klitschko hat alle Vorwürfe stets zurückgewiesen. Mit Erfolg. Man glaubt ihm, der lange in Hamburg gelebt hat, dass er mit dem korrupten Apparat in der Ukraine nichts zu tun hat. Letzte Prognosen sehen seine Partei bei 10 Prozent. Sie könnte vor dem Bündnis Vereinigte Opposition landen, das Julia Timoschenko aus dem Gefängnis beziehungsweise von ihrem Krankenlager aus per Videobotschaft führt.
Es wirkt, als sehe das Regierungslager der Abstimmung gelassen entgegen. Rinat Achmetow, der ostukrainische Superoligarch, als dessen Marionette Präsident Janukowitsch gilt, kennt sie gut, diese Siegesgewissheit. Der Fußballklub Schachtjor Donezk hat alle zwölf Spiele dieser Saison gewonnen. Achmetow hat ihn mit seinem Geld gepäppelt, bis er konkurrenzlos wurde.
28 Oct 2012
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