taz.de -- Brandenburger Volksbegehren erfolgreich: 106.332 für Nachtflugverbot

Erstmals hat in Brandenburg ein Volksbegehren die nötige Unterstützung erhalten. Jetzt muss sich der Landtag mit einem erweiterten Nachtflugverbot für den Flughafen Schönefeld befassen.
Bild: Sie hatten an alles gedacht, sogar an bunte Schilder: Siegesfeier der Bürgerinitativen gegen Nachtflüge.

POTSDAM dpa | Das Volksbegehren in Brandenburg für ein striktes Nachtflugverbot am künftigen Hauptstadtflughafen in Schönefeld bei Berlin ist erfolgreich: Es wurden 106.332 Unterschriften gesammelt, wie der Landeswahlleiter am Montagabend in Potsdam mitteilte. Das sind weit mehr als die von der Landesverfassung geforderte Mindestzahl von 80.000. Der Staatssekretär im brandenburgischen Verkehrsministerium, Rainer Bretschneider, kommentierte den Ausgang knapp: „Der Landtag ist am Zug.“

Damit hat erstmals ein Volksbegehren in Brandenburg die nötige Unterstützung erhalten, so dass sich der Potsdamer Landtag damit befassen muss. In Berlin war ein ähnliches Volksbegehren im September gescheitert. Während in der Bundeshauptstadt 173.233 Unterschriften nötig gewesen wären, waren es am Ende nur 139.129.

Das Aktionsbündnis Berlin-Brandenburg, dessen Mitglieder den Sieg in Teltow (Potsdam-Mittelmark) ausgelassen feierten, fordert ein striktes Nachtflugverbot zwischen 22 und 6 Uhr. Nach jetzigem Stand soll ein solches Verbot nur zwischen 0 und 5 Uhr gelten.

Bis zur letzten Minute hatten die Initiatoren des Aktionsbündnisses die Werbetrommel gerührt, um unentschlossene Bürger zur Stimmabgabe in Rathäusern und Amtssitzen zu bewegen. Die Frist für das Volksbegehren betrug sechs Monate. Dem Sprecher des Aktionsbündnisses, Matthias Schubert, liefen ein paar Freudentränen über die Wangen. „Das sind vorgezogene Weihnachten für uns“, rief er mit heiserer Stimme.

Die Landesregierung müsse sich jetzt auf die Fluglärmgegner zu bewegen. „Dieses historische Ergebnis kann Matthias Platzeck nicht mehr wegwischen. Wer er es dennoch tut, ist ein schlechter Demokrat.“ Thomas Schmidt (SPD), Bürgermeister von Teltow, ergänzte: „Es ist Irrsinn, was hier passiert. Mehr als 100 000 Stimmen, das ist ganz großes Kino. Bitte Potsdam: Werdet wach und macht Eure Hausaufgaben.“ Sprechchöre in Teltow skandierten: „So sehen Sieger aus.“

Brandenburger Oppositionsparteien freuen sich mit

„Wir haben großen Respekt vor dem starken Engagement der Brandenburger. Das Anliegen ist ernst zu nehmen, schließlich braucht Brandenburg einen akzeptierten Flughafen“, bemerkte der Vorsitzende der oppositionellen CDU-Fraktion im Landtag, Dieter Dombrowski. „Durch das beschämende Verhalten der Landesregierung wurde dies fast unmöglich gemacht. Die CDU-Fraktion wird das Anliegen sehr ernsthaft prüfen.“

Der Landeschef von Bündnis 90/Die Grünen, Benjamin Raschke, sprach von einem „wichtigen Etappensieg“. Die Nachtflüge am BER seien auch aus wirtschaftlicher Sicht unnötig. „Für die Anwohner besteht nun Hoffnung auf mehr Schlaf.“ Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) müsse jetzt einlenken.

„Die Gesundheit der Lärmgeschädigten hat Vorrang.“ Die märkische Piratenpartei forderte: „Dieses Zeichen darf nicht ignoriert werden.“ In Berlin-Friedrichshagen fand am Abend gleichzeitig die 75. Montagsdemonstration gegen die Lärmbelästigung durch den Großflughafen statt. Die dortige Bürgerinitiative hatte das Volksbegehren unterstützt.

Nach Angaben des Landeswahlleiters beteiligten sich 109.157 Bürger an dem Volksbegehren, was 5,15 Prozent der 2,12 Millionen Eintragungsberechtigten entspreche. 2.829 Unterschriften seien ungültig gewesen. Naturgemäß war der Zuspruch in den betroffenen Landkreisen wie Potsdam-Mittelmark (25.718 gültige Eintragungen), Teltow-Fläming (24.036), Dahme-Spreewald (21.574), Oder-Spree (10.796) und Märkisch-Oderland (10.052) am größten. Unter den kreisangehörigen Städten und Gemeinden gab es in Blankenfelde-Mahlow (10.295), Kleinmachnow (7.279) und Teltow (6.320) die meisten Unterschriften.

4 Dec 2012

TAGS

bbi
Volksbegehren
Schönefeld
Fluglärm
Brandenburg
Autoindustrie
Hauptstadtflughafen
Flughafen
Fluglärm
Flughafen Berlin-Brandenburg (BER)
Flughafen Berlin-Brandenburg (BER)

ARTIKEL ZUM THEMA

Elektroautos sind lautlos und gefährlich: Düsenflieger statt Motorbrummen

Weil sie so leise sind, verursachen E-Kisten mehr Unfälle. Die Hersteller basteln an warnenden Sounds – und wehren sich gegen Gesetze.

Montagsdemo in Berlin: Immer wieder montags

Vor knapp zwei Jahren gingen die Friedrichshagener das erste Mal gegen Fluglärm auf die Straße. Heute treffen sie sich wieder: zu ihrer 100. Montagsdemo.

Debatte um Nachtflugverbot: „Verhandlungen werden scheitern"

Matthias Schubert, Sprecher des Volksbegehrens, fordert von der Regierung in Potsdam, die Nachtruhe auch einseitig und ohne Zustimmung Berlins auszuweiten.

Hauptstadtflughafen eröffnet noch später: Eine unendliche Bruchlandung

Der Airport Berlin-Brandenburg (BER) wird auch 2013 noch nicht eröffnet. Die Grünen planen deswegen ein Misstrauensvotum gegen Bürgermeister Wowereit.

Bundestag bewilligt Geld für BER: Der Flughafen wird liquide

Der Bundestag hat mehr als 312 Millionen Euro für den neuen Berliner Flughafen freigegeben. Das ist der Anteil des Bundes an den Mehrkosten für das Bauprojekt.

Protestaktionen gegen Fluglärm: Im Pyjama und Nachthemd

In mehreren deutschen Städten und in London gehen Fluglärmgegner auf die Straße. In Nantes kommt es zu Zusammenstößen wegen des geplanten Flughafenbaus.

Noch mehr Fluglärm: Wenn sich ein Pilot verfliegt

Die vom Fluglärm betroffenen Gebiete um den Neu-Flughafen Schönefeld sind offenbar deutlich größer als bisher bekannt.

Kommentar zum gescheiterten Volksbegehren: Zu wenig Krach gemacht

Die Initiatoren des Volksbegehrens für ein komplettes Nachtflugverbot haben sich gründlich verzettelt.

FLUGHAFEN: Flieger können nachts lärmen

20.000 Stimmen fehlen dem Volksbegehren für ein strengeres Nachtflugverbot in Schönefeld. Eine Neuregelung rückt nun in weite Ferne

Kommentar Frankfurter Flughafen: Vage Versprechen

Von bis zu 250.000 neuen Jobs haben die Ausbaubefürworter des Frankfurter Flughafens zeitweise gesprochen. Das klingt toll, ist es aber nicht.