taz.de -- Großbritannien und die EU: „Ein Austritt wäre nicht dramatisch“

Die EU darf sich von Großbritannien nicht erpressen lassen, sagt Daniel Cohn-Bendit von den Grünen. Die übrigen Staaten müssten eine Schutzmauer um die EU bauen.
Bild: Vielleicht nicht mehr lange beieinander: EU und Großbritannien.

taz: Herr Cohn-Bendit, David Cameron hat für 2017 ein Referendum über den Verbleib seines Landes in der EU angekündigt. Was bedeutet das für die EU?

Daniel Cohn-Bendit: Die Engländer haben natürlich das Recht, sich zu entscheiden, ob sie bleiben oder gehen wollen. Aber sie haben nicht das Recht, die anderen permanent zu erpressen. Genau das tut Cameron mit seiner Strategie. Er setzt die übrigen 26 Regierungen unter Druck – und zwar noch vier Jahre lang –, um weitere Sonderregeln für Großbritannien zu erzwingen. Da darf man jetzt nicht nachgeben! Die übrigen Staaten müssen eine Schutzmauer um die EU bauen.

Was wären die Folgen?

Wir müssen die Sonderregeln abbauen, nicht noch mehr neue hinzufügen. Sonst demonstriert Cameron, dass man in der EU drin sein kann, ohne tatsächlich ganz drin zu sein. Wenn wir jetzt bei jedem EU-Gipfel eine Sonderregel für die Briten bekommen, dann könnten sich dem andere Staaten, zum Beispiel die Tschechische Republik und Ungarn, anschließen. Dann bekommen wir ein Europa à la carte, das nicht mehr regierbar ist.

Was für Sonderregeln könnten das sein?

Zuerst will Cameron alle schon bestehenden Ausnahmen in Stein meißeln – vor allem den Briten-Rabatt bei den Einzahlungen in den EU-Haushalt. Die Diskussion geht ja auf dem EU-Gipfel Anfang Februar weiter. Außerdem will er die Arbeitszeitrichtlinie kippen, die die Wochenarbeitszeit begrenzen soll. Das sind nur zwei Beispiele. Und ihm fällt bestimmt noch einiges ein, was uns nicht einfällt.

Wie stehen seine Chancen, sich in Brüssel durchzusetzen?

Das hängt sehr vom französischen Präsidenten ab. Wenn François Hollande bei der Haushaltsdiskussion so entschlossen bleibt, wie er es beim Mali-Einsatz war, dann wird es Cameron sehr schwer haben. Hollande will den Briten-Rabatt auf jeden Fall angreifen. Das hat er zumindest angekündigt. Wenn Hollande aber umfällt, dann könnte Cameron durchkommen.

Was hat der britische Premierminister von der Ankündigung eines Referendums?

Cameron hat große innenpolitische, vor allem wirtschaftliche Probleme. Deshalb will er den nächsten Wahlkampf in Großbritannien zu einem Europa-Wahlkampf machen. Das ist ziemlich geschickt. Er sagt den Leuten: Wenn ihr mich wählt, könnt ihr bestimmen, dass unser Land aus der EU austritt. Das kommt an in Großbritannien. Man müsste ihn deshalb auffordern, das Referendum einfach schon früher zu machen – vor den nächsten Wahlen.

Wie ist ihr Eindruck: Will Cameron selbst raus aus der EU?

Wenn er morgens mit dem linken Fuß aufsteht, dann will er drin bleiben. Wenn der rechte zuerst den Boden berührt, will er austreten. Ich glaube, er weiß das selbst nicht so genau.

Und was würde ein Austritt Großbritanniens für die restliche Europäische Union bedeuten?

Es würde heißen, dass die EU bereits in der Normandie aufhört. Das wäre nicht dramatisch. Ich will nicht sagen, dass wir die Briten nicht brauchen. Für die Sicherheits- und Außenpolitik sind sie wichtig. Auch die demokratische Tradition der Briten tut Europa gut. Aber wenn sie austreten, bricht die Welt nicht zusammen. Im Gegenteil: Die Vertiefung der EU würde ohne die Briten einfacher werden.

23 Jan 2013

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Ruth Reichstein

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