taz.de -- Eurokolumne: Warum Merkel Europa totspart

„Von Deutschland lernen, heißt siegen lernen“ ist Angela Merkels Parole. Und dafür müssen Strukturreformen her – auch in der EU.

Haushaltskonsolidierung ist das Gebot der Kanzlerin. Nun soll auch die EU ihren Haushalt drastisch zusammenstreichen und ihre Fördermittel kürzen. Das ist Angela Merkels Forderung, der sie auch am Donnerstag auf dem EU-Gipfel erneut Nachdruck verlieh.

Für die Kanzlerin gehen Kürzungen und Wachstum schließlich Hand in Hand. Hier muss die Frage gestattet sein, ob Merkel diese schon fast orwellsche Verdrehung wirklich ernst meint. Wer der deutschen Kanzlerin keine geistige Verwirrung unterstellen will, muss das wohl klar verneinen. Es scheint vielmehr so, als habe Merkel gar kein Interesse daran, dass die Eurokrise mittelfristig beendet wird.

Angela Merkel hat ihre eigene Agenda. Diese Agenda ist zutiefst neoliberal und in letzter Konsequenz auch undemokratisch; oder wie die Kanzlerin es selbst formulieren würde: marktkonform. Doch was steckt hinter dieser Agenda?

Vor wenigen Tagen legte die Kanzlerin auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos für einen kurzen Moment ihren Mantel des Schweigens ab und skizzierte ihre bizarre Gedankenwelt.

Europa brauche, so Merkel, eine „Kohärenz in Sachen Wettbewerbsfähigkeit“, die sich keinesfalls am Mittelmaß orientieren dürfe. Ziel sei vielmehr eine Wettbewerbsfähigkeit, die „uns Zugang zu den globalen Märkten ermöglicht“. Hier staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich. Bislang hieß es doch immer, dass die interne Schieflage bei der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften ausgeglichen werden soll.

Marktkonforme Politik

Das will Angela Merkel jedoch nicht. „Von Deutschland lernen, heißt siegen lernen“ ist vielmehr ihre Parole. Und dafür müssen Strukturreformen her. Da unsere Nachbarn jedoch nicht unsere Freude am Masochismus teilen und von Strukturreformen à la Lohnverzicht, Anhebung des Rentenalters und Hartz IV nicht sonderlich viel halten, muss Deutschland eine sanfte Drohkulisse aufbauen.

Auch in Deutschland musste, so Merkel in Davos, die Arbeitslosigkeit erst die 5-Millionen-Grenze übersteigen, „bevor die Bereitschaft vorhanden war, Strukturreformen durchzusetzen“. Gerhard Schröder wird stolz auf seine Schwester im Geiste sein, erklärte er doch sieben Jahre zuvor an gleicher Stelle, dass „wir einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut [haben], den es in Europa gibt“.

Passend dazu beschrieb Margaret Thatchers ehemaliger Notenbanker Sir Alan Budd die Motivation der neoliberalen Politik 1992 folgendermaßen: „Die Erhöhung der Arbeitslosigkeit war mehr als wünschenswert, um die Arbeiterklasse insgesamt zu schwächen. […] Hier wurde […] eine Krise des Kapitalismus herbeigeführt, die die industrielle Reservearmee wiederherstellte und die es den Kapitalisten fortan erlaubte, hohe Profite zu realisieren.“ So gesehen ist eine Politik, die die Arbeitslosigkeit nicht senkt, sondern erhöht, durchaus marktkonform.

Für Angela Merkel ist der Teil der „Krise des Kapitalismus“, den wir als Eurokrise bezeichnen, eine zeitlich begrenzte Gelegenheit, während der die „Reformbereitschaft“ unserer europäischen Nachbarn aufrechterhalten werden kann. Naomi Klein hat diese Vorgehensweise in ihrem gleichnamigen Buch als „Schockstrategie“ beschrieben. Die Regierungen unserer Nachbarn können sich in den gegebenen Strukturen nur schwer gegen den Druck aus Deutschland zur Wehr setzen.

Die Eurokrise kommt Angela Merkel und denen, die Sir Alan Budd als „Kapitalisten“ bezeichnet, nicht nur gelegen, sie ist vielmehr der entscheidende Hebel, mit dem man den Sozialstaat erfolgreich entkernen kann. Eine Politik, die zu einer Auflösung der Krise und zu einer Entspannung am Arbeitsmarkt führt, läuft diesem Ziel schlichtweg zuwider.

Es macht daher auch wenig Sinn, ernsthaft über die Vor- und Nachteile der Kürzungen bei den EU-Fördermitteln zu debattieren. Natürlich sind Kürzungen mitten in einer schweren Wirtschaftskrise hier wirtschaftlich kontraproduktiv. Natürlich wird sich durch diese Kürzungen die Arbeitslosigkeit noch weiter erhöhen. Natürlich wird dies unsere Nachbarstaaten noch stärker in die Krise und damit auch in die Abhängigkeit der EU-Kommission treiben, mit der die deutsche Regierung schon lange sehr erfolgreich über Bande spielt. Genau das scheint das Ziel Angela Merkels zu sein.

8 Feb 2013

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Jens Berger

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