taz.de -- Polizeiaktion gegen Salafisten-Szene: Hausbesuch bei den Fanatikern
Sie kämpften für die Scharia unter dem Deckmantel von Jugendarbeit: Am Mittwoch wurden mehrere Razzien bei verbotenen Salafisten-Vereinen durchgeführt.
KÖLN taz | Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) erhöht den Druck auf die radikalislamistische Szene. Am frühen Mittwochmorgen starteten Razzien in Nordrhein-Westfalen und Hessen zur Durchsetzung mehrerer kurz zuvor erlassener Vereinsverbote. Die Durchsuchungen bei insgesamt 20 Personen dienten der Beschlagnahme des Vereinsvermögens und der Auflösung der Vereinsinfrastruktur, teilte das Bundesinnenministerium mit. Mehrere hundert Beamte sind im Einsatz.
Betroffen von den Verboten Friedrichs sind die in Hessen angesiedelten salafistischen Vereine DawaFFM inklusive der Teilorganisation Internationaler Jugendverein - Dar al Schabab e.V. sowie DawaTeam Islamische Audios, der auch unter dem Namen DawaTeam LiesFfm firmierte. Ebenfalls verboten wurde die in Nordrhein-Westfalen ansässige an-Nussrah, die das Innenministerium als Teilorganisation der bereits im Juni 2012 zwangsaufgelösten Vereinigung „Millatu Ibrahim“ bewertet.
„Der Salafismus, so wie er von den heute verbotenen Vereinen vertreten wird, ist unvereinbar mit unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung“, erklärte Friedrich. Sie strebten „in aggressiv-kämpferischer Weise eine Veränderung unserer Gesellschaft an, bei der die Demokratie durch ein salafistisches System und der Rechtsstaat durch die Scharia ersetzt werden sollen“.
Die Frankfurter DawaFFM um den Prediger Abdellatif Rouali befand sich schon länger im Visier der Sicherheitsbehörden. Die Gruppe war stark missionarisch aktiv, betrieb intensive Jugendarbeit, organisierte Fußballturniere und Grill-Events im Park. Laut Innenministerium erklärte sie andere Religionen für minderwertig und rief dazu auf, diese zu bekämpfen.
Nach gewalttätigen Ausschreitungen von Salafisten in Solingen und Bonn im Mai 2012, bei denen mehrere Dutzend Polizisten verletzt wurden, war gegen DawaFFM bereits ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden inklusive mehrerer Durchsuchungen. Nach Ministeriumsangaben hätte dabei umfangreiches Beweismaterial sichergestellt werden können. Bei der Auswertung seien wichtige Erkenntnisse über die verfassungsfeindlichen Aktivitäten und die planvolle Vorgehensweise salafistischer Strukturen in Deutschland gewonnen.
Nach außen ein unverdächtiges Projekt
Zeitgleich mit dem damaligen Vorgehen gegen DawaFFM war im Sommer 2012 die Solinger Salafistengruppe Millatu Ibrahim verboten worden. Zwischen ihr und der als „islamischer Hilfsverein“ fungierenden an-Nussrah sollen enge personelle und organisatorische Verflechtungen bestanden haben. Zwar habe sich an-Nussrah nach außen den Anschein eines unverdächtigen Projekts zum Sammeln von Spenden für Muslime in Syrien gegeben.
Doch jetzt hätte nachgewiesen werden können, „dass es tatsächlich die führenden Köpfe von Millatu Ibrahim waren, die Organisation und Handeln von an-Nussrah bis ins Detail kontrollierten und steuerten“, teilte das nordrhein-westfälische Innenministerium mit.
Die salafistische Szene gilt als die am dynamischsten wachsende ultraorthodoxe Strömung innerhalb des Islam. In der BRD macht sie mit je nach Schätzung zwischen 3.000 und 5.000 Anhängern allerdings nur einen verschwindend geringen Anteil der muslimischen Bevölkerung aus. Die Salafisten orientieren sich an einer stark idealisierte Frühzeit des Islam und predigen eine wortgetreue Ausrichtung an Koran und Sunna. Sie unterteilen die Menschen strikt in Gläubige und Ungläubige, lehnen die Demokratie und alle „von Menschen gemachten“ Gesetze wie das Grundgesetz ab.
„Wir halten den Druck auf die Salafisten aufrecht und gehen entschieden gegen ihre demokratiefeindliche Agitation vor“, erklärte NRW-Innenminister Ralf Jäger in Düsseldorf.
13 Mar 2013
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Innenminister Friedrich will Ausweisungen religiöser Extremisten erleichtern. Anlass sei die Bedrohung in Deutschland durch „salafistische Aktivisten“.
Ausstiegswillige Salafisten sollen in Nordrhein-Westfalen Hilfe bekommen. Der Innenminister plant ein entsprechendes Programm.
Einer der vier in Bonn gefassten mutmaßlichen Terroristen hätte beinahe im Oktober 2011 bei der Polizei in Bremen angefangen.
Die Ermittlungen zum mutmaßlichen Mordkomplott auf den Pro NRW-Chef laufen ab sofort bei der Bundesanwaltschaft – wie der versuchte Bombenanschlag in Bonn auch.
Gäste, die sich ins Wort fielen, Vorurteile im Dutzend, ein Imam als Sündenbock für Extremismus. Günther Jauch ließ seine Talkshow völlig aus dem Ruder laufen.
Ja, bei „Pro NRW“ handelt es sich um rassistische Brandstifter. Das ändert nichts daran, dass der Staat auch sie schützen muss. Was er auch getan hat.
Salafisten wollten Markus Beisicht, den Vorsitzenden der rechtsextremen Pro NRW, töten. Beim Auskundschaften seiner Wohnung wurden sie von der Polizei gestellt.
Der Innenminister verbietet drei salafistische Vereine. Einen Teil der Szene könnte das weiter radikalisieren. Im Netz beschimpfen sie den „Verfassungsschmutz“.
Seit Mittwochmorgen führt die Polizei in NRW und Hessen Razzien bei Verdächtigen aus der Salafistenszene durch. Der Einsatz dient der Auflösung von Vereinsstrukturen.
Mouhanad Khorchide wird von muslimischen Verbänden angefeindet und zur „Reue“ aufgefordert – und wehrt sich nun öffentlich.
Monatelang stellten Islamisten Propagandaclips und Hetzschriften ins Netz und drohten auch der Kanzlerin. Jetzt drückte Webseiten-Betreiber „Wordpress“ die Löschtaste.
Warum werden junge Menschen Salafisten? Das muss überhaupt noch erforscht werden, sagt der Islamwissenschaftler Rauf Ceylan.
Eine Kommission soll die deutschen Anti-Terror-Gesetze überprüfen. Eine Einigung zwischen CSU-Innenminister und FDP-Justizministerin scheint dabei unwahrscheinlich.
Salafisten locken ihre Gegner, die Rechtspopulisten von „Pro Deutschland“, nach Kreuzberg – und treffen sich dann in Neukölln.