taz.de -- Der Fortsetzungsroman: Kapitel 5: Schlafzimmerdiplomatie
Was bisher geschah: Ihre Erlebnisse vom Porno-Dreh notiert Leena in eine Tabelle, bis DIE LUST erschien und sie in die Bredouille bringt.
Von einer Sekunde auf die andere war es still. Leenas Wohnung war so dunkel wie ein Maiabend in Neukölln werden konnte. Ihr Herz schlug gegen ihren Kopf. Vorsichtig tastete sie sich vom Sicherungskasten weg und Richtung Schlafzimmer. Die Umrisse DER LUST waren nirgends zu sehen. Leena wagte sich in den Raum.
Die Tür schlug hinter ihr zu.
„Ha!“, schrie DIE LUST. „Das hast du dir so gedacht, was?“ Leena fuhr herum um. DIE LUST stand vor der verschlossenen Tür, in der erhobenen Hand die Fernbedienung, mit der sie Leena eben noch terrorisiert hatte. Leena spürte, wie die Luft aus ihr wich. Sie sackte auf das Bett, auf dem vor wenigen Minuten DIE LUST gesessen und Pornos geschaut hatte. Seit dieses Wesen ihre Wohnung okkupierte und von sich behauptete, ihre Lust zu sein, entglitt Leena ihr Leben. Hast du wirklich gedacht, dieses Hirngespinst würde verschwinden, wenn du die Hauptsicherung umlegst?, schalt sie sich. Erst als ihre Augen sich vollständig an das sachte Vierteldunkel gewöhnt hatten, sah sie wieder zur Tür hinüber.
DIE LUST hatte sie nicht aus den Augen gelassen. Mit einem Blick, den Leena gehässig fand, drehte sie den Schlüssel im Schloss, zog ihn heraus und stopfte ihn sich ins Ohr.
Ins Ohr! Ich hab Halluzinationen, dachte Leena. Ich bin total Psycho.
„Für Oma ist das real“, hatte ihr Vater ihr eingebläut. „Also sei respektvoll und nimm sie ernst!“ Leena seufzte. Das hier war nicht ihre Oma, das war sie selbst – oder zumindest: ein fleischgewordener Teil von ihr. Die fleischgewordene Lust einer Veganerin. Ging es noch absurder?
„Okay“, sagte sie schließlich. „Was willst du?“
DIE LUST ließ die Hand mit der Fernbedienung sinken.
„Echt jetzt?“ Sie klang wie ein Kind, das vor einem Riesenberg Spielzeug steht und sich eins aussuchen darf.
„Echt jetzt“, bestätigte Leena. Such dir eins aus und verschwinde.
DIE LUST sprang so aufgeregt auf Leenas Bett, dass das Bild mit den Steintürmen am Kopfende vibrierte.
„Ich will, dass du dir den Porno anguckst“, sagte sie. „Und dass du dich dabei befriedigst.“
„Oh, bah! Du klingst wie ein dreckiger alter Mann“, ätzte Leena.
„Ich will, dass du isst, bis du platzt!“, forderte DIE LUST. „Dass du bis mittags um drei schläfst, dich noch mal umdrehst und weiterschläfst. Ich will, dass du statt dieses Scheißtees ein Bier trinkst. Nee! Fünf!“ Jetzt kam sie in Fahrt. „Ich will, dass du jemanden verprügelst und mit einem wildfremden Menschen schläfst. Ich will, dass du …“
„Got it!“ Leena hob die Hände, um dem Redefluss Einhalt zu gebieten.
„Hast du nicht! Weil: Ich will, dass es dir Spaß macht! Lust! LU-HU-HU-“
„Ist ja gut!“, schrie Leena. „Verdammte Scheiße, es gibt dich ja nicht mal!“
DIE LUST wurde dunkelviolett. „Wie lange willst du das eigentlich noch behaupten, du ignorantes Miststück?“ Zu spät fiel Leena ein, dass Irrsinn immer ernst genommen werden will. Die Fernbedienung traf ihre Schläfe.
Als die Klapse auf die Wangen zu Schlägen wurden, kam Leena wieder zu sich.
„Na endlich“, sagte DIE LUST. Sie ließ von ihr ab und streckte sich bäuchlings neben ihr auf dem Bett aus. Vor ihr lagen einige Zettel. Leenas Gaumen war trocken.
„Ein Bier?“, fragte DIE LUST freundlich.
„Danke nein.“ Leena griff zur Wasserflasche neben dem Bett und nahm einen langen Zug. Dann deutete sie auf die Zettel. „Was ist das?“
„Deine Tabelle. Das hast du wirklich gut gemacht – also für den Anfang. Und das mit dem Porno war gar nicht schlecht. Bist du überhaupt nicht auf die Idee gekommen, mitzumachen?“
„Ich?“, fragte Leena. „Nie im Leben!“
„Warum? – Ach, ist auch egal. Du hast ja noch ganz viele andere tolle Sachen hier stehen. Siebzehn Zeilen lang!“
„Was willst du?“, wiederholte Leena erschöpft.
„Ich will, dass du die alle ausprobierst“, forderte DIE LUST. „Und dass du mindestens sieben findest, die dir richtig, richtig Spaß machen. Das bist du mir schuldig!“
„Ich bin dir gar nichts …“, Leena unterbrach sich. Recht geben, dachte sie. Erst mal immer recht geben. „Und was krieg ich dafür?“
„Du wirst ein glücklicherer Mensch.“
„Nee, is klar!“, sagte Leena. „Das behauptet jede Religion von sich und trotzdem bin ich in keiner Kirche.“ Sie sah DER LUST ins Gesicht. Atmete ein. Aus. Ein. „Wie wär’s damit“, schlug sie vor. „Ich probiere zehn aus. Und finde eine, die mir gefällt. Und dafür seh ich dich nie, nie wieder.“
„Fünfzehn“, sagte DIE LUST. „Fünf.“
„Zwölf“, sagte Leena. „Drei.“
„Deal“, sagte DIE LUST.
31 May 2013
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Was bisher geschah: Leena war 80 Stunden lang in den Fängen DER LUST und kann sich an wichtige Details nicht erinnern. Ihre Freundin Nuray hat die Nase voll von den Eskapaden DER LUST.
Was bisher geschah: Leena und ihre weltberühmte Partybekanntschaft suchen, als Männer getarnt, die Lust und das „echte“ Berlin. Sie landen in einer Karaokebar und es wird wild.
Was bisher geschah: Leena will das beim Roulette gewonnene Geld spenden - DIE LUST verfolgt einen anderen Plan. Um Leena besser kontrollieren zu können, verabreicht sie ihr Ecstasy.
Was bisher geschah: In frisch geklauten Klamotten befördert DIE LUST Leena ins Spielcasino. Leena will kneifen, DIE LUST setzt alles. Auf 17.
Was bisher geschah: DIE LUST übernimmt die Kontrolle über Leenas Körper und klaut ihr eine neue Garderobe zusammen. Als Eintrittskarte in die Welt der Reichen und für einen ganz großen Coup
Was bisher geschah: Leena scheut Experimente mit Lack und Leder und vergibt lieber zehn von zehn Punkten an die vegane Luxusküche. DIE LUST meutert und will Action.
Was bisher geschah: Leena versucht sich als Voyeurin im Swingerclub. Doch bei der Erwähnung des SM-Spielzimmers nimmt sie Reißaus.
Was bisher geschah: Leena lässt Rohrstock und Peitsche links liegen und flieht erstmal in ganz andere fleischliche Genüsse.
Was bisher geschah: Eine durchzechte Nacht beschert Leena Übelkeit und die Erkenntnis, halb Berlin geküsst zu haben. Auch ihre beste Freundin Nuray. Mit Zunge.
Was bisher geschah: DIE LUST gibt Leena via Facebook in aller Netzöffentlichkeit Ratschläge. Zum Beispiel: mal Voyeurismus ausprobieren.
Was bisher geschah: Leena ist mit ihrer besten Freundin im Biergarten gelandet, um ihre Suche mit Alkohol fortzusetzen. Und zwar ordentlich.
Was bisher geschah: DIE LUST treibt Leena mitten in der U7 in einen veritablen Lachkrampf. Ein mitleidsarmer Zeitgenosse filmt. Na danke.
Was bisher geschah: Lust bedeutet Lachen, sagte die Bedienung aus Leenas Lieblingscafé. Also macht Leena sich auf den Weg zum Lachclub Rixdorf.
Was bisher geschah: Leena schließt einen Deal. Sie muss mindestens zwölf Dinge ausprobieren, die anderen Menschen Lust bereiten.
Was bisher geschah: Leena sucht die Lust. Ihre Freundin Isabelle nahm sie deswegen mit zu einem Porno-Dreh – einem feministischen Porno-Dreh, wohlgemerkt.
Was bisher geschah: Zuerst kam die Antwort. Dann kam die Frage und warf weitere auf. Und Leena begab sich auf die Suche nach der Lust.
Was bisher geschah: Ein harmloser Moment in ihrem Neuköllner Schlafzimmer konfrontiert Leena mit ihrer Lust. Die jetzt gelebt werden will. Gefälligst.
Die Autorin Tania Witte schreibt ab sofort jede Woche den Fortsetzungsroman „Lust. Ausgerechnet“. Protagonistin Leena wird mit ihrer Lust konfrontiert.