taz.de -- Der Fortsetzungsroman: Kapitel 17: Kontaktimprovisation

Was bisher geschah: Leena will das beim Roulette gewonnene Geld spenden - DIE LUST verfolgt einen anderen Plan. Um Leena besser kontrollieren zu können, verabreicht sie ihr Ecstasy.
Bild: Leenas Gehirn schwamm in gluckernden Fluten von Glückshormonen.

„Oh!“ Leena strahlte. „Ist das schön hier!“ Sie tätschelte die kahle Wand des Clubs. Aufgeregt bückte sie sich, um die Wand näher in Augenschein zu nehmen. Sie wollte eben die Zunge herausstrecken, um am Beton zu lecken, als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte.

„Alles okay?“, fragte eine Stimme.

„Mir geht es wunderbar“, erwiderte Leena, legte ihre Hand auf die fremde und drehte sich unter ihrer beider Hände hinweg um, bis sie Bauch an Bauch mit dem Besitzer der anderen Hand stand. „Au ja!“, jubelte sie. „Kontaktimprovisation! Das ist eine fantastische Idee!“

Sie kreiselte um den Mann herum, bis sie schließlich neben ihm stand. Ihre Schulter passte knapp in seine Achselhöhle. Er sah sie überrascht an. Leena legte ihre freigewordene Hand auf seine Wange, rollte sich erneut an seinem Bauch entlang und ließ sich - ein Bein rechts, ein Bein links von seinem - an ihm herabsinken. Vom Boden herauf schaute sie ihn beifallheischend an.

Er stand, als wäre er mit der Wand verwachsen. Seine Miene war unergründlich. „Du musst nicht schüchtern sein“, beruhigte ihn Leena. „Vielleicht könntest du jetzt dein anderes Bein über meinen Kopf heben und dich dann wegdrehen?“

Ihr Improvisationspartner zog behutsam sein Bein zwischen Leenas Schenkeln hervor und drehte sich in der Tat weg. Statt jedoch irgendwelche Beine zu heben, wandte er sich an eine Frau, die an der gegenüberliegenden Wand lehnte. „Es wird immer schlimmer!“, hörte Leena ihn sagen. „Diese Touris kennen ihre Grenzen einfach nicht.“

„Danke!“, rief Leena seinem Rücken hinterher. „Das war toll! Ich liebe dich!“ DIE LUST schüttete sich vor Lachen aus. „Kontaktimprovisation“, keuchte sie. „Ich hätte es nicht besser machen können. Wie kommst du bloß auf so was?“ Leena lachte mit, bis ihre Wangenmuskeln schmerzten. Dann stemmte sich vom Boden hoch. Von DER LUST besessen zu sein ist viel netter, als gegen sie anzukämpfen, dachte sie kurz, ehe ihr Kopf sich wieder auf Stand-by schaltete.

Dank des Ecstasys, das ihr DIE LUST ungefragt und heimlich zu den alkoholfreien Cocktails verabreicht hatte, schwamm ihr Gehirn in gluckernden Fluten von Glückshormonen. Leena sah an sich herab, lachte erneut und zog das Kleid, das sich hochgeschoben und hübsch über ihrer Hüfte gefältelt hatte, zurecht.

Die Welt war ein Kaleidoskop klarer Farben. DIE LUST trug eine Aureole. Leena stupste ihr mit dem Finger auf die Nase. „Du bist wirklich süß, weißt du das?“, sagte sie. DIE LUST errötete und bugsierte sie zur Tanzfläche.

„Sieh nur!“, jubelte Leena. „So viel positive Energie!“

„Du klingst wie ein Hippie.“ DIE LUST grinste. „Und du redest in Ausrufezeichen.“

Leenas Blick fiel auf einen durchtrainierten Mann, der am Rand der Tanzfläche stand und mit den Knien wippte. Neugierig tänzelte sie auf ihn zu

„Deine Kniestrümpfe sind voll toll!“, überschrie sie die Musik. „Grün! Die Streifen machen deine Waden so … Ach! Du hast die ja überall, diese Streifen! Auf dem T-Shirt und auf der Hose auch! Wie hübsch!“

Der Mann starrte sie an, als wäre sie (und nicht er) ein auffällig gestreiftes Insekt, von dem noch unklar war, ob und wie viel Gefahr von ihm ausging. „Guck mal!“, jauchzte Leena. Sie hob seinen rechten Arm ein wenig an und legte drei Finger unter seine Achsel, einen auf jeden Streifen. Er ließ es ungläubig geschehen.

„Wenn ich hier anfange“, sagte sie, „dann schaff ich es an deiner Hose runter und um die Kniestrümpfe rum bis zu deinen Schuhen und wenn du deine Füße ganz eng zusammenstellst, komm ich auf der anderen Seite wieder rauf! Nur auf den Streifen! Wetten?“ Sie trat den Beweis an. „Ha!“, triumphierte sie. „Hab ich’s doch gewusst: bis zur anderen Seite!“ Der gestreifte Mann rieb sich verwirrt den Bart.

Unvermittelt deutete Leena auf die Tanzfläche. „Sieh nur!“, rief sie entzückt. „Ein Hündchen!“ Sie hüpfte von dem Mann weg, geradewegs auf den Menschen zu, der in einem Rhythmus, den die Leine an seinem Hals vorgab, tanzte. Auf allen vieren. Einen Moment lang beobachtete sie ihn versonnen, dann tippte sie der Frau, die am anderen Ende der Leine den Takt bestimmte, auf die Schulter.

„Darf ich ihn mal halten?“

„Nein“, antwortete die Frau.

Leena zog die Brauen zusammen. Dann erhellte sich ihr Blick. „Ah!“ Leena nickte verschwörerisch. „Ich verstehe! Du hast ihn noch nicht lange, oder?“ Die Frau setzte zu einer Antwort an, als Leenas Aufmerksamkeit zu einem Wesen am anderen Ende der Tanzfläche sprang.

„Wow!“, rief sie. DER LUST verschlug es, erstaunlicherweise, die Sprache.

21 Aug 2013

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