taz.de -- Hochschulzugang weitgehend homogen: Elite statt Chancengleichheit

Die meisten Studierenden sind Akademikerkinder. Aus Arbeiterfamilien schafft es nicht einmal jeder Vierte an die Hochschule. Grund genug das Bäfog zu reformieren.
Bild: Milliarden-Investitionen haben für zusätzliche Studienplätze gesorgt, die weiterhin meistens von Akademikerkindern besetzt werden.

Berlin dpa | Trotz der Rekordzahl von 2,5 Millionen Studenten schaffen es Arbeiterkinder nach wie vor nur selten an die Hochschule. Dies geht aus der am Mittwoch in Berlin vorgestellten neuen Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes (DSW) hervor. Von 100 Kindern aus Akademikerfamilien studieren 77. Von 100 Kindern aus Facharbeiterfamilien sind es hingegen nur 23.

Studentenwerks-Präsident Dieter Timmermann sagte: „Der Zugang zum deutschen Hochschulsystem ist sozial nach wie vor selektiv - auch wenn das Bildungsniveau der Gesellschaft insgesamt gestiegen ist.“ Auch die neue Studienstruktur mit dem schnelleren Bachelor-Abschluss habe die soziale Zusammensetzung der Studentenschaft nicht verändert.

„Die hochschulpolitischen Schlüsselbegriffe unserer Zeit sind Exzellenz, Elite, Autonomie. Von sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit ist kaum die Rede“, sagte der DSW-Präsident, der früher Rektor der Universität Bielefeld und Bildungsforscher war.

Mangel an Finanzieller Unterstützung

Timmermann forderte Bund und Länder auf, sich jetzt ohne weitere Verzögerungen über eine Bafög-Reform zu verständigen. Die Anhebung der studentischen Ausbildungsförderung steht nun schon im zweiten Jahr aus. Bereits im Januar 2012 hatte der Bafög-Beirat der Bundesregierung eine Erhöhung der Fördersätze um fünf Prozent sowie der Elternfreibeträge um sechs Prozent verlangt. Diese Forderung hatte sich die Regierung allerdings nicht zu eigen gemacht.

Für die Studie „unicensus“ gaben lediglich 3,5 Prozent der bundesweit befragten Studenten an, sich zu über 90 Prozent über BAföG finanzieren zu können.

Laut Sozialerhebung wird derzeit ein Viertel der Studierenden voll oder teilweise mit Bafög gefördert. Stipendien bekommen nur vier Prozent. Sechs Prozent haben Kredite aufgenommen, um ihre Ausbildung zu finanzieren. Dies sind den Ergebnissen zufolge vor allem Kinder aus ärmeren Elternhäusern.

Wie die repräsentative Umfrage ergab, haben die Klagen der Studierenden über die hohe Arbeitsbelastung im Bachelor-Studium inzwischen Wirkung gezeigt und an den Unis zu einer Entzerrung der Lehrveranstaltungen geführt. Durchschnittlich 35 Stunden in der Woche wendet ein Student für Vorlesungen, Seminare und Selbststudium auf. Dies sind zwei Stunden weniger als noch bei der Umfrage 2009.

61 Prozent gaben an, neben dem Studium noch zu jobben – im Schnitt 7,4 Stunden die Woche. Insgesamt ist die Erwerbstätigenquote unter den Studierenden allerdings leicht zurückgegangen. Als eine mögliche Ursache gilt laut Sozialerhebung der Verzicht auf Studiengebühren.

Besonders Studenten aus ärmeren Familien hatten zuvor darüber geklagt, für die Gebühren nebenbei arbeiten zu müssen. Aus Sicht von Hochschulforschern lässt aber auch das straffer organisierte Bachelorstudium mit seiner dichten Abfolge von Lehrveranstaltungen heute weniger Zeit für Nebenjobs.

26 Jun 2013

TAGS

Studenten
Bafög
Uni
Umfrage
Studentenwerk
Ausbildung
Studiengebühren
Universität
Baden-Württemberg
Bildung
Bafög
Doktortitel
G9

ARTIKEL ZUM THEMA

Kolumne Zumutung: Fickt euch!

Dass eine Ausbildung zum Hotelfachmann/-frau glücklich machen kann, können Akademikerkinder kaum glauben. Ihre Eltern auch.

Unigebühren in Baden-Württemberg: 100 Euro für den Aufnahmetest

Die grün-rote Regierung hat in Baden-Württemberg die Studiengebühren abgeschafft. Jetzt drohen Studenten neue Kosten bei der Aufnahme.

Chancengleichheit für Bildungsaufsteiger: „Die Uni braucht ein Gesicht“

77 von 100 Akademikerkindern studieren, aber nur 23 von 100 Nichtakademikerkindern. Ein Mentorenprogramm soll das nun ändern.

Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer: Spekulieren und kalkulieren

In Baden-Württemberg will Grünen-Fraktionschefin Sitzmann Nicht-EU-Ausländer fürs Studium zahlen lassen. Damit steht sie recht alleine da.

Chancengleichheit im Bildungssystem: Der Wille allein macht’s nicht

Die Mutter verschwand für Tage, David Chanders Noten wurden immer schlechter. Niemand fragte nach. Trotzdem hat er es später an die Uni geschafft.

Studentenförderung im EU-Ausland: Bafög-Regel verstößt gegen EU-Recht

Mehr Auslandsstudenten könnten künftig Bafög bekommen. Das höchste EU-Gericht verwirft eine wichtige Beschränkung bei der Auslandsförderung.

Neue OECD-Studie zur Bildung: Erst geizen, dann prassen

Eine neue OECD-Studie kommt zu dem Schluss: Beim Anstieg des Einkommensvorteils von Uni-Absolventen ist Deutschland Spitze.

Bildungsforscher über Turbo-Abitur: „G 8-Schüler schneiden besser ab“

Ulrich Vieluf und Stephan Thomsen haben G8- und G9-Schüler verglichen. Sie kommen in Hamburg und Magdeburg zu verschiedenen Ergebnissen.

Studium: Hochschule muss abspecken

30 Prozent der Studienplätze abgebaut werden, sagt die Rektorin der Hochschule. Mehr Geld vom Land gibt es nicht.

Streit um Studiengebühren: Die Grenzen der Kulanz

Die Hochschule für bildende Künste bittet Boykotteure zur Kasse, nachdem sie Jahre lang einen kulanten Umgang mit Nicht-Zahlern pflegte. Das reißt alte Wunden auf.