taz.de -- NSU-Ausschuss in Bayern beendet Arbeit: Fehler, aber keine Kardinalfehler
Nach einem Jahr bilanziert der bayerische NSU-Ausschuss. Die Opposition will das V-Leute-System abschaffen, aber die CSU wehrt sich dagegen.
MÜNCHEN taz | Ahnungslose Verfassungsschützer, mangelhafter Behördenaustausch und ein fragwürdiger Umgang mit V-Leuten: Im Entwurf für den Abschlussbericht des bayerischen NSU-Untersuchungsausschusses erheben die Landtagsabgeordneten aller Parteien schwere Vorwürfe gegen Polizei und Verfassungsschutz (VS). Am Dienstag verabschiedeten die Abgeordneten den Bericht – mit einen Sondervotum von SPD und Grünen.
„Dieses Votum war geboten“, sagt Franz Schindler (SPD), Vorsitzender des Ausschusses, der taz: „Aus den Ergebnissen werden nicht dieselben Forderungen erhoben.“ Dabei sind sich die Parteien in weiten Teilen des Berichts einig: Den Ermittlern wäre bei der „Auswertung der Informationen eine wissenschaftliche Durchdringung (…) des Rechtsextremismus“ nicht gelungen, zudem hätten sie sich „zu sehr auf die Ermittlungsrichtung organisierte Kriminalität konzentriert“.
Nach der Ermordung von Ismail Yasar durch den NSU in Nürnberg 2005 hätten die Ermittler deutliche Hinweise auf „missionarische Ausländerfeinde als Täter“ weggeblendet, sagt Susanna Tausendfreund von den Grünen. „Obwohl eine Zeugin zwei Männer von dem Kölner Bombenanschlag 2004 wiedererkannte.“ Die Ermittler hätten „gravierende Fehler“ gemacht, sagt Tausendfreund und schiebt nach: „rassistische Ressentiments sind nicht auszuschließen“.
Fehler ja, „Kardinalfehler“ nein, kontert Otmar Bernhard (CSU), stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses. Von einem „pauschalen Versagen der Behörden“ und vom „alltäglichen, latenten Rassismus“ bei der „bayerischen Polizei“ könne nicht gesprochen werden.
Der bayerische VS könne „in seiner bisherigen Form nicht mehr weiterbestehen“, sagen hingegen SPD und Grüne und fordern einen „wissenschaftlichen Beirat“ und einen Verfassungsschutzbeauftragten. Die CSU, sagt Schindler, wehre sich, das V-Leute-System einzustellen. Im Ausschuss, so Tausendfreund, wäre aber „offensichtlich geworden, dass einzelne V-Leute rechtsextremistische Strukturen aufgebaut haben, deren Entstehung der Verfassungsschutz bekämpfen sollte“.
9 Jul 2013
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Ein Thüringer LKA-Zielfahnder wirft den Behörden vor, brisanten Handykontakt nicht ausreichend verfolgt zu haben.
Petra Pau (Linke) will V-Leute und den Verfassungsschutz abschaffen. Eva Högl (SPD) hält eine Radikalreform für falsch. Ein Streitgespräch.
Der VS soll durch ein anderes Amt mit neuen Mitarbeitern ersetzt werden, fordert die Türkische Gemeinde in Deutschland. Die Integrationsbeauftragte winkt ab.
Nie wieder. Ein Satz mit historischer Dimension. Nach 19 Monaten kommt der NSU-Ausschuss im Bundestag zu einem vernichtenden Urteil.
Europaweit wurden beim rechsextremen „Werwolf-Kommando“ Durchsuchungen durchgeführt. Der Verdacht: „Gründung einer terroristischen Vereinigung“.
Heftige Wortgefechte im NSU-Prozess: Nebenkläger halten einem Ermittler vor, im Mordfall Habil Kılıç nicht die richtige Spur verfolgt zu haben.
Im NSU-Prozess wird der Mord an Enver Şimşek untersucht. Derweil taucht eine neue Quelle des Verfassungsschutzes auf.
Bereits 2006 soll bei der Sonderkommission „Bosporus“ der Begriff NSU gefallen sein, sagt ein Ermittler aus. Ein Umdenken löste der Hinweis nicht aus.
Die Ermittler dachten, der NSU habe keine Mitwisser gehabt. Nach überraschenden Aussagen eines Angeklagten im NSU-Prozess ist das nicht mehr haltbar.
70 Sitzungen, fast 100 Zeugenvernehmungen und 11.667 Aktenordner. Der NSU-Ausschuss beendet seine Arbeit – mit 10 signifikanten Ergebnissen.