taz.de -- Eintauchen bei den Jesus Freaks: Sex zwischen Engeln und Menschen
Die Jesus Freaks sind wenige, aber jede Gruppe hat eine eigene Website. Die wirklich interessanten Diskussionen jedoch findet man nur auf Abwegen.
Holy shit! Die sind ja überall, diese Jesus Freaks. Da scheint jedes Kaff mit mehr als zwölf Einwohnern eine eigene Dependance zu haben, und alle haben sie eine Präsenz im Netz! [1][Gießen], [2][Wedel], [3][Herrenberg]! Überall, überall! Und das bei nur 5.000 Mitgliedern!
Die Jesusfreaks sind eine freikirchliche Bewegung, die 1991 in Hamburg begründet wurde, ganz modern mit Graswurzel und allem. Es ging und geht damals um die Vercoolirisierung des Glaubens, also zu zeigen, das Christ- und Jungsein nicht im Gegensatz zueinanderstehen müssen. Motto: Jesus ist nicht nur für Leute, die's mit dem Kreuz haben.
Und: Glaube geht über [4][Sinnlichkeit und Gemeinschaftsgefühl].
Dafür hat sich die Bewegung bei allen verfügbaren Jugendkulturen bedient, was sich in den unterschiedlichen Aufmachungen der Seiten niederschlägt – vom [5][Stencilesken in Dortmund] über die neue [6][süßliche Gemütlichkeit Münchens] bis hin zum [7][verträumt-verspielten Stil Stuttgarts] (mit Sternchen!) findet sich da alles.
Und die Seiten sind – mit wenigen Ausnahmen – erstaunlich gut gelungen. Intelligent designt sozusagen, wer Peinlichkeiten bis hin zu [8][schlechten Powerpoint-Videos] erwartet hat, kommt nur selten auf seine Kosten. Tatsächlich gibt es sogar recht ansprechend gemachte Clips, jedenfalls so lange man den Ton ausschaltet.
Wenn man den Ton anmacht, zerstören sich einige erste Eindrücke. Zum Beispiel der, dass die Jesus Freaks ein internetpatenter Haufen sind, wie sich das für eine Jugendbewegung gehört. Aber von wegen: Die Leitung der Jesus Freaks scheint der eigenen Klientel da nicht sehr viel zuzutrauen. Stattdessen [9][erklären sie per Video] in aller Breite, wie man den Newsletter abonniert, was man [10][auf der Webseite] der Jesus Freaks findet und dass man ruhig [11][auch mal eine E-mail schreiben] kann. 49 Views, keine Pointe.
Eine Cola für David
Eines der großen Projekte der Jesusfreaks ist die Volxbibel – die altehrwürdige heilige Schrift soll in modernes Deutsch übertragen werden. Nun geht die Verjugendlichung alter tradierter Stoffe selten ohne Peinlichkeit vonstatten, und so klingt „modernes Deutsch“ eher wie etwas, das Bastian Sick darunter verstehen könnte. Zum Beispiel [12][1. Chronik 11.17]: „Irgendwie hatte David gerade Bock auf eine Cola und sagte deswegen mehr aus Spaß zu den Männern: 'Ich hab voll Durst! Wer bringt mir eine Cola aus dem Automaten, der in Bethlehem-City steht?'“ Voll krass, der David!
Aber ansonsten findet man kaum Inhalte online. Seltsam genug für eine Graswurzelbewegung in Zeiten des Internets, obendrein, weil es vor einigen Jahren noch ein sehr aktives Forum gab. Inzwischen ist das eine Kirche, bei der jeder predigen darf, die aber online so gut wie ohne Inhalte auskommt.
Es ist eine Schande, dass das Forum abgeschaltet wurde, denn es war eine reichhaltige Materialsammlung für die vielen Antworten, die die Jesus Freaks auf die Gretchenfrage aller Religionsgemeinschaften in modernen säkularen Gesellschaften gaben, nämlich: Wie hältst Du's mit der Sexualität?
Dass die Jesus Freaks da eigene Ansichten entwickelt haben, dafür gibt es immerhin Indizien. Martin Dreyer, Gründer der Jesus Freaks, teasert seine weitere Arbeit an der Volxbibel mit [13][Sexszenen zwischen Engeln und Menschenfrauen] an. So viel Freizügigkeit passt nicht jedem. Das [14][„Wort Gottes Radio“] beispielsweise zeigt sich entsetzt von den Freizügigkeiten der Diskussionen, „die selbst die schon als jugendgefährdend eingestufte Zeitschrift 'Bravo' in den Schatten stellen“ und den „unzüchtigen Anspielungen auf Jesus Christus, die in der Geschichte des Christentums ihresgleichen suchen.“ Das wäre doch der Lektüre wert gewesen!
Willkommen im 21. Jahrhundert
Genauso wie man gern gelesen hätte, dass immerhin eine Kontroverse über die Haltung gegenüber Homosexuellen stattfindet. Man muss inzwischen ein wenig tiefer graben, um dann bei lose assoziierten Bloggern fündig zu werden. Beispielsweise bei Jesus Punk, die anlässlich des Todes von Dirk Bach ihrer Enttäuschung über die [15][Scheinheiligkeit einiger ihrer Leser] freien Lauf lässt, später einen [16][schwulen Christen interviewt] und sich offen [17][gegen eine wortwörtliche Auslegung der Bibel] stellt, weil diese Praxis einige schwerwiegende Fragen aufwirft, zum Beispiel: „Ich würde gerne meine Tochter in die Sklaverei verkaufen, wie es in Exodus 21:7 erlaubt wird. Was wäre Ihrer Meinung nach heutzutage ein angemessener Preis für sie? “
Die Diskussion in den Kommentaren zeichnet eine gewisse Kindlichkeit aus; es geht viel um Liebe und Verständnis, Emotionen werden möglichst direkt geäußert („Das macht mich sehr traurig!!!!“), es wird viel gesegnet. Was christliche Diskussionen überhaupt auszuzeichnen scheint, ist eine Argumentationslinie, die „geistige Verengung“ heißen könnte: „Jeder wie er mag“-Gemeinplatz, einschränkendes Bibelzitat, „hm, ich weiß auch nicht genau“-Schlusspointe.
Inkonsistenz als Haltung, daraus muss zwangsläufig Humor entstehen. Wie bei [18][diesem Kommentar], der seine christliche Homophobie mit dem Tupac-Zitat „Only God can judge me“ einleitet und nach einigen unklaren Verstrickungen, dass Homosexuelle im Grunde wie Mörder sind, zum Beispiel, zu der Erkenntnis kommt: „Wir leben im 21 Jahrhundert, wow schön, bin ganz begeistert “
Wer nicht?
19 Jul 2013
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