taz.de -- Eurokolumne: Guter Bulle, böser Bulle

Der IWF wirkt wie ein Chirurg, der einem Patienten mit Knöchelprellung das Bein amputiert hat. Seine Selbstgeißelung ist unglaubwürdig.
Bild: Lassen Sie mich durch, ich bin Chirurg, ich muss nach Griechenland.

So viel Lob hat der IWF schon lange nicht mehr bekommen. Der Internationale Währungsfonds habe endlich aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt, sagen selbst linke Kritiker. Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Was ist dran, wenn die UNO-Organisation aus Washington die „Rettungsagenda“ der Troika attackiert? Wenig – schließlich ist der IWF Teil der Troika.

Tatsächlich ist die Strategie des Fonds an Doppelzüngigkeit kaum zu überbieten. Wenn es ernst wird, ziehen nämlich alle Mitglieder der Dreiertruppe an einem Strang. Ansonsten spielt der IWF „guter Bulle, böser Bulle“ – und beruhigt sowohl die geschundenen Seelen der Opfer der IWF-Politik als auch die zunehmend kritischen Mitglieder des Fonds.

Den Anfang der selbstkritischen IWF-Seifenoper machte Chefökonom Olivier Blanchard höchstpersönlich, als er Anfang des Jahres zähneknirschend gestand, man habe sich leider verrechnet – die den Eurokrisenstaaten verordneten Kürzungen seien doch keine Medizin, sondern Gift.

„Negative Effekte unterschätzt“

##

Im Juni legte die IWF-Abteilung Selbstkritik nach und zählte auf, was bei der Griechenland-Rettung alles falsch gelaufen sei. Man habe die „negativen Effekte der Sparpolitik unterschätzt“. Die Erkenntnis ist nicht gerade originell, sämtliche Daten lassen gar keine andere Interpretation zu: Nicht Kürzungen, sondern Investitionen der öffentlichen Hand wären nötig, damit die Wirtschaft der geschundenen Krisenstaaten wieder anspringt. Unlängst erkannte das selbst IWF-Chefin Christine Lagarde an.

Ist die Selbstgeißelung glaubwürdig? Nein. Am Tag, als der Fonds seine Fehler in Griechenland öffentlich debattierte, veröffentlichte er seinen weniger öffentlichkeitswirksamen Griechenland-Bericht. Der verordnete erneut exakt die Politik, die das IWF-Ressort „Sonntagsreden“ als Gift eingestuft hatte.

Egal, ob es sich um Griechenland, Portugal oder Zypern handelt – sobald es bei den Troika-Verhandlungen um Konkretes geht, verfolgt der IWF exakt die Politik, die er an anderer Stelle kritisiert. Er wirkt dabei wie ein Chirurg, der einem Patienten mit einer Knöchelprellung das Bein amputiert hat.

Konfrontiert mit seinem Fehler, gesteht er, dass Amputationen sich im Nachhinein nun mal oft als Fehlentscheidungen herausstellen. Dabei bereitet er im OP-Saal nebenan bereits die nächste Amputation bei einem Patienten mit Knöchelprellung vor.

Deutschland, EU-Kommission und Europäische Zentralbank weisen, um im Bild zu bleiben, jeden Vorwurf eines „Kunstfehlers“ weit von sich und erklären, die Amputation des Beines sei – da wären sich alle Mediziner einig – eine zwingend notwendige Maßnahme bei einer Knöchelprellung. Die eigenen Prognosen würden überdies belegen, dass der Patient künftig mit einem Bein schneller laufen könne als mit zwei Beinen.

Ein Einäugiger unter den Blinden

Welchen dieser beiden Chirurgen würden Sie aufsuchen, wenn Sie sich den Knöchel prellen? Der IWF ist kein Einäugiger unter Blinden. Seine gespielte Selbstkritik ist Teil einer PR-Strategie. Innerhalb der IWF-Mitgliedsstaaten wächst nämlich die Kritik am Eurokrisen-Engagement des Fonds.

Erst am Mittwoch gingen elf lateinamerikanische Länder den IWF wegen seines Engagements in Griechenland harsch an. Es sei falsch, Athen zu päppeln. Die Stützmilliarden seien verloren, weil es dort zu wenig Reformen gebe.

Da ist es freilich hilfreich, die eigene Täterrolle zu kaschieren. Die Bürger der Länder, die Opfer der desaströsen Politik der Troika sind, werden es schon glauben.

Es ist wohl wie beim aus US-Krimis bekannten Spiel „guter Bulle, böser Bulle“: Der IWF tut innerhalb der Troika so, als habe er Verständnis für die Opfer und wolle eigentlich nur das Beste für sie. Gleichzeitig packen nebenan die Merkels, Schäubles, Rehns und Asmussens bereits ihre Folterinstrumente aus.

3 Aug 2013

AUTOREN

Jens Berger

TAGS

IWF
Christine Lagarde
Griechenland
Portugal
Zypern
Euro-Rettung
Eurokrise
EZB
Eurokolumne
EZB
Eurokrise
Eurokolumne
Euro
Euro
Faschisten
Griechenland
Krise
Griechenland
Eurokrise
Schwerpunkt AfD
Zypern
Italien

ARTIKEL ZUM THEMA

Künftiger EU-Kommissionspräsident: Nicht schuld an der Eurokrise

EU-Währungskommissar Olli Rehn bringt sich vor dem Europaparlament als neuer Chef der Brüsseler Behörde in Stellung.

Zukunft der Bankenaufsicht: Karriere in Europas Zentralbank

Sabine Lautenschläger, Vizepräsidentin der Bundesbank, soll ins EZB-Direktorium aufrücken – dank Erfahrung bei der Aufsicht der Geldinstitute.

Eurokolumne: Undank ist des Schäubles Lohn

Es sieht nur so aus, als ob sich Finanzminister und Deutsche Bank streiten. Tatsächlich ist der Kassenwart oberster Lobbyist des Geldhauses.

Eurokolumne: EZB-Miese? Kein Problem!

Verlust ist nicht immer Verlust: Warum soll Präsident Mario Draghi mit der Europäischen Zentralbank nicht mal kräftig Miese machen dürfen?

Eurokolumne: Desaster? Nicht bei uns!

Die EU siecht vor sich hin. Aber die Großkoalitionäre in Deutschland tun so, als ob die Krise auf einem anderen Planeten stattfindet.

Eurokolumne: Der Patient aus Paris

Frankreich fehlt eine Strategie, um dem Dilemma der Deindustrialisierung zu entkommen. Standard & Poor’s stuft die Bonität erneut herab.

Eurokolumne: Viel Asche, aber kein Phönix

Gute Nachrichten aus Griechenland? Das hätten die Gesundbeter der Krise gerne – aber die Abwärtsspirale ist noch lange nicht durchbrochen.

Eurokolumne: Kröten für Berlin

Im Wahlkampf haben die deutschen Euroretter Däumchen gedreht. Die nächste Regierung muss mit den Lebenslügen von Schwarz-Gelb aufräumen.

Kommentar EU-Politik Deutschlands: Merkel füttert den Faschismus

Der Erfolg griechischer Faschisten liegt auch an uns. Die Politik der CDU erinnert an die Versuche der Weimarer Republik, ihre Krisen zu bewältigen.

Krise in Griechenland: Schäuble droht Hilfe an

Ist die Ankündigung neu, dass Athen neue Hilfsmilliarden bekommt? Merkel lehnt einen weiteren Schuldenschnitt für den Krisenstaat ab.

Eurokolumne: Die Lösung für Griechenland

Niemand sagt es im Wahlkampf gerne, aber den Griechen müssen Milliarden Euro Schulden erlassen werden. Das ist aber gar nicht so schlimm.

Griechenland mit Haushaltsüberschuss: Heureka, es kommt was rein!

Der griechische Finanzministerium verkündet für die erste Jahreshälfte 2013 einen Überschuss von 2,6 Milliarden Euro. Ein ausgeglichener Haushalt ist jedoch nicht in Sicht.

Eurokolumne: Schmierentheater statt Therapie

Merkel lud zum EU-Gipfel gegen Jugendarbeitslosigkeit. Anstatt echte Lösungen zu präsentieren, nutzte sie das Treffen für ihren Wahlkampf.

Eurokolumne: Zweifeln ja, aber doch nicht so

Wie lange halten die Opfer der Krise noch still? Die Euroländer brauchen eine neue Strategie, wenn der Euro bleiben soll.

Eurokolumne: „Haltet den Zyprer!“

Der Russe ist ein böser Oligarch und der Zypriot ein Geldwäscher. Aber was tun deutsche Politiker gegen die Steuertricks deutscher Unternehmen?

Eurokolumne: Uovo der Daus!

Klassenstreber ist nicht Klassenbester: In Italien sank die Staatschuldenquote um fast 20 Prozentpunkte. In Deutschland stieg sie um 10 Prozentpunkte.