taz.de -- Militärschlag gegen Syrien: Druck auf Obama wächst
Die Front der Befürworter eines Militärschlags gegen Syrien bröckelt. Das britische Parlament pfeift Premier Cameron zurück. Wagt US-Präsident Obama den Alleingang?
WASHINGTON/LONDON dpa | Nach dem überraschenden Nein der Briten zu einem Militärschlag gegen Syrien wächst der Entscheidungsdruck auf Barack Obama. Mit Spannung wird erwartet, ob der US-Präsident notfalls auch einen Alleingang in Kauf nimmt, um den syrischen Machthaber Baschar al-Assad wegen des vermuteten Einsatzes von Giftgas in die Schranken zu weisen.
Nach fünf Tagen beendeten die Chemiewaffenexperten der Vereinten Nationen am Freitag ihre Untersuchungen in Syrien; einige Mitglieder des Teams reisten noch am selben Tag ab. Solange sich die UN-Experten in Syrien aufhielten, galt ein westlicher Militärschlag als unwahrscheinlich.
Obama, der einen Einsatz chemischer Waffen durch das syrische Regime zur „roten Linie“ erklärt hat, will seine Entscheidung von den „Interessen“ der Vereinigten Staaten abhängig machen. Das sagte die sicherheitspolitische Sprecherin des Weißen Hauses, Caitlin Hayden.
In Washington wurde die Publikation eines Geheimdienstberichtes mit angeblichen Beweisen für eine Verstrickung des syrischen Regimes in den mutmaßlichen Giftgasangriff ohne Nennung von Gründen immer wieder verschoben. US-Außenminister John Kerry wollte noch am Freitag eine Erklärung zum Syrienkrieg abgeben.
Merkel sagt: Nein
Deutschland wird sich nicht an einem internationalen Militärschlag gegen das Assad-Regime beteiligen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) schlossen am Freitag einen Einsatz der Bundeswehr erstmals strikt aus.
Wegen des mutmaßlichen Giftgaseinsatzes, bei dem in der vergangenen Woche Hunderte syrische Zivilisten getötet wurden, hatte die Bundesregierung immer wieder „Konsequenzen“ verlangt.
Der Sicherheitsrat tagt
Die Hoffnung in Berlin ruht nun darauf, dass Russland und China ihren Widerstand im UN-Sicherheitsrat aufgeben und doch noch eine diplomatische Lösung möglich wird. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, der eine Europareise wegen der Entwicklungen in Syrien vorzeitig abgebrochen hatte, rief die fünf Veto-Mächte für Freitagabend in New York zu Beratungen zusammen.
US-Verteidigungsminister Chuck Hagel, der derzeit auf Südostasien-Reise ist, bekräftigte, die USA wollten auch nach dem britischen Nein ein internationales Bündnis gegen das Regime in Damaskus schmieden.
Frankreich steht bereit
Zählen kann Washington wohl weiterhin auf eine Unterstützung Frankreichs. Präsident François Hollande will eine internationale Reaktion gegen Syrien notfalls auch ohne UN-Mandat. „Wenn der Sicherheitsrat nicht in der Lage ist zu handeln, wird sich eine Koalition formieren“, sagte Hollande der Tageszeitung Le Monde. Ein solches Bündnis solle so breit wie möglich sein. Frankreich sei im Rahmen seiner Möglichkeiten bereit.
Der britische Premierminister David Cameron zeigte sich nach der Abstimmungsschlappe im Unterhaus enttäuscht. Er werde sich dem Votum des Parlaments beugen, jedoch international weiter für eine „robuste Antwort“ auf die – für ihn erwiesene – Anwendung von Chemiewaffen durch das Assad-Regime werben.
Die Niederlage Camerons nach mehr als siebenstündiger Debatte wurde in Großbritannien als Demütigung für den Regierungschef aufgefasst. Viele Abgeordnete hatten die Situation mit der vor dem Irak-Krieg 2003 verglichen. Damals hatte Labour-Premier Tony Blair aufgrund von US-Geheimdienstinformationen, die sich nachher als falsch erwiesen, Truppen geschickt.
Widerstand auch in den USA
Auch in Washington gibt es Widerstand: Viele Abgeordnete und Senatoren äußerten sich zurückhaltend zu einem Militäreinsatz. Bei einer Telefonkonferenz von Regierungs- und Kongressmitgliedern, an der auch Außenminister John Kerry und Verteidigungsminister Chuck Hagel teilnahmen, wurde Kritik an den hohen Kosten eines Einsatzes laut. Zudem hätten mehrere Parlamentarier einen sinnvollen Schlachtplan mit klaren Zielen vermisst oder handfeste Beweise für die Verantwortung des syrischen Regimes an dem Giftgasangriff, berichteten US-Medien.
Moskau will mit seinem Vetorecht im UN-Sicherheitsrat jede UN-Resolution für einen Militäreinsatz verhindern. „Russland lehnt jeden Beschluss des Weltsicherheitsrates ab, der die Möglichkeit einer Gewaltanwendung vorsieht“, sagte Vizeaußenminister Gennadi Gatilow der Agentur Itar-Tass. Als enger Partner des syrischen Regimes warnt Moskau vor einem Flächenbrand im Nahen Osten.
Die Europäische Union will die Syrienkrise beim G20-Gipfel in der kommenden Woche in St. Petersburg nicht auf die Tagesordnung setzen. Die G20 seien kein Forum für die Außenpolitik, sagte ein EU-Diplomat am Freitag in Brüssel. „Syrien ist nicht auf der Tagesordnung.“ Russlands Präsident Wladmir Putin hatte schon vorher erklärt, dass Syrien kein Thema der G20 sein solle. Am Rande des Treffens könnte es dennoch zur Sprache kommen.
30 Aug 2013
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Im Fall Syrien verfügen die französischen Geheimdienste angeblich über „Beweise“, die dem Präsidenten Hollande kaum eine andere Wahl lassen.
Was im ständigen Gerede über Militäreinsätze untergeht, ist die Diskussion der deutschen Flüchtlingspolitik. Auch im Hinblick auf Syrien.
Der Militärschlag gegen Syrien kommt noch nicht: Barack Obama will dafür das Votum des Kongresses abwarten. Die USA, so der Präsident, seien der Welt verpflichtet.
Russland steht an Syriens Seite: Präsident Wladimir Putin nannte die von den USA erhobenen Anschuldigungen gegen Assad, Giftgas eingesetzt zu haben, „absoluten Unfug“.
Die letzten UN-Chemiewaffenexperten sind im Libanon eingetroffen. Mit der Abreise wächst die Wahrscheinlichkeit eines Militärschlags gegen das Regime in Damaskus.
Sollten die USA einen Raketenangriff gegen die Chemiewaffenlager in Syrien durchführen, könnte das katastrophale Folgen haben.
Hollande steht für eine militärische Bestrafungsaktion des Assad-Regimes bereit. Eine parlamentarische Zustimmung braucht er nicht.
Großbritanniens Parlament lehnt die Beteiligung an einem Militärschlag ab. Auch die eigenen Leute fallen Premier Cameron in den Rücken. Er ist schockiert.
Das britische Unterhaus lehnt ein Eingreifen in Syrien ab und spiegelt die aktuelle Stimmung im Land: Der Rest der Welt soll die Insel in Ruhe lassen.