taz.de -- Kommentar pro familia und Pädophilie: Aus der Sicht des Kindes
Auch bei pro familia war „einvernehmlicher Sex“ zwischen Erwachsenen und Kindern ein Thema. Die Opferperspektive wurde zu lange ausgeblendet.
Was hat ein Elfjähriger davon, wenn ihn ein Erwachsener in die Geheimnisse des Petting einführt? Nichts. Einvernehmlichen Sex zwischen Kindern und Erwachsenen gibt es nicht. Deshalb muss das gesellschaftliche Tabu der Sexualität zwischen den Generationen aufrechterhalten werden. Unbedingt.
Die Sicht des Kindes einzubeziehen ist heute selbstverständlich. In den Siebziger- bis Neunzigerjahren war das anders: So lässt sich erklären, warum nicht nur bei den Grünen und den Jungdemokraten, sondern auch bei der Beratungsorganisation pro familia dem „einvernehmlichen Sex“ zwischen Erwachsenen und Kindern das Wort geredet wurde.
Bis 1997 nahmen im pro familia magazin Experten eine Abgrenzung vor zwischen Sexualstraftaten und „erotischen“ Beziehungen mit „echten“ Pädophilen. Gewaltfreie Erlebnisse, so betonten Wissenschaftler wie Rüdiger Lautmann, könnten Kindern durchaus Freude bereiten. Eine Schädigung sei „sehr fraglich“. Lautmann begründete seine Annahme mit eigenen Studien – für die er pädophile Männer befragte, nicht aber die Kinder.
Dieser Blick ist typisch für die damalige Zeit: Pädophile tauschten sich ausgiebig über ihre Seelenlage, ihre Sehnsüchte und gesellschaftliche Stellung aus. Sie erfuhren dabei in liberalen Kreisen Aufmerksamkeit und Solidarität.
Die Perspektive der Opfer wurde dagegen erst langsam entdeckt: Mit der Gründung von Beratungsstellen, mit Studien, die Langzeitfolgen sexueller Gewalt untersuchten, entstanden die Grundlagen für eine neue Diskussion. Erst in der jüngeren Vergangenheit, mit dem gänzlichen Verbot der elterlichen Züchtigung 2000 und dem neuen Unterhaltsrecht von 2008, wurden Kinderrechte weiter gestärkt. Der Perspektivwechsel hin zum Kind ist also noch jung. Wie überfällig er war, zeigen die Texte aus der Zeit davor.
8 Oct 2013
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