taz.de -- Rekonstruktion von Rothschild-Sammlung: Zeichen der Leere

Die Künstlerin Anna Artaker zeigt Fotos von Bildern der zerstörten Rothschild’schen Gemäldesammlung am historischen Ort in Wien.
Bild: Anna Artakers Rekonstruktion der Rothschild'schen Gemäldesammlung in Wien, Arbeiterkammer Wien (2013).

Wenn man vor der Wende von Wien nach Berlin kam, bestand eine wesentliche Befreiung darin, den intakten Fassaden entkommen zu sein. Denn Berlin war kaputt und das Kaputte machte den Krieg und den unhintergehbaren historischen Bruch sichtbar, spürbar, präsent – ganz im Unterschied zu der polierten Kontinuität Wiens. Wie sich diese Berliner Erfahrung gehalten hat, lässt sich etwa am Neuen Museum ablesen: Trotz Geld und Kapazitäten hat man nicht den Originalzustand wiederhergestellt, sondern den „Wunden“ und Spuren Raum gegeben.

In Wien findet man kaum dergleichen. Im Freud-Museum etwa, das sich in Freuds ehemaliger Praxis befindet, fehlt das entscheidende Objekt – die Freud’sche Couch. Sie ist in London. Freud hat sie mitgenommen, als er Wien 1938 verlassen musste. Und nichts markiert diese Leerstelle, kein Hinweis auf dieses symptomatische Fehlen. In Berlin stellt man sich dem Abgrund, den die Geschichte eröffnet hat, während Wien nach wie vor eine Stadt der ungebrochenen Fülle zu sein versucht.

Man muss sich dieses Ambiente vergegenwärtigen, um zu verstehen, was für eine Intervention die neue Ausstellung der Wiener Künstlerin Anna Artaker ist. „Rekonstruktion der Rothschild’schen Gemäldesammlung in Wien“ lautet deren ebenso nüchterner wie treffender Titel.

Die österreichische Linie der legendären jüdischen Bankiersfamilie Rothschild war nicht nur reich, sondern auch kunstsinnig. Eine Kombination, die sich in einer unglaublichen Gemäldesammlung materialisierte.

Diese umfasste hunderte Bilder mit Schwerpunkt auf der Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts – van Dyck, Frans Hals, Rembrandt, Boucher, Fragonard waren ebenso vertreten wie Tintoretto oder Gainsborough. Louis Rothschild wurde noch am Tag des „Anschlusses“ mit Blick auf sein Vermögen verhaftet, die Kunstsammlung umgehend arisiert.

Fotos der Gemälde in Originalgröße

In ihrer Ausstellung präsentiert Anna Artaker nun Fotos in Originalgröße jener Gemälde, die einmal die Rothschild’sche Sammlung bildeten. Dem ging eine lange Recherchearbeit voraus, wie sich an der Beschriftung jeder einzelnen Reproduktion ablesen lässt: Diese nennt neben Maler und Werk auch den Zeitpunkt der Arisierung, den Verbleib während der Naziherrschaft, den Fundort nach dem Krieg und den Zeitpunkt der Restitution – die ganze lange Geschichte solcher Objekte im 20. Jahrhundert. Das ist die Rekonstruktion einer Abwesenheit.

Bemerkenswert ist übrigens nicht nur die äußerst zögerliche Restitution, die sich bis ins Jahr 1999 zog. Bemerkenswert ist auch, dass der Großteil der arisierten Bilder für das geplante „Führermuseum“ in Linz bestimmt war. Das „Führermuseum“ sollte also wesentlich aus der Sammlung Rothschild bestückt werden.

Einer der bevorzugten Kunsthändler dieses Museums soll übrigens Hildebrand Gurlitt gewesen sein. Womit Artakers Ausstellung nicht nur thematisch, sondern auch personell mitten im Geschehen ist, mitten in den aktuellen Diskussionen um Raubkunst. Dazu gibt es übrigens neben dem Fall Gurlitt auch noch ein österreichisches Pendant: die gerade heftig umstrittene Sammlung des NS-Filmregisseurs Gustav Ucicky. Die Ausstellung erhält so eine unerwartete und nicht intendierte Aktualität.

Standort am historischen Ort des Palais Rothschild

Die spezifische Rekonstruktion, die Anna Artaker unternimmt, die Rekonstruktion von Abwesenheit, geht aber noch weiter. Die Ausstellung entstand im Auftrag und für den Standort der AK, der Wiener Arbeiterkammer – der Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen –, die sich damit nicht nur der, sondern ganz speziell auch ihrer Vergangenheit stellt. Denn das Gebäude der AK, das Gebäude, in dem Artakers Reproduktionen jetzt hängen, steht genau an jener Stelle, wo früher das Palais Rothschild stand!

Was für eine Geschichte hatte dieser Ort. 1938 wurde das Palais Albert Rothschild nicht nur enteignet, sondern auch zur „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ unter der Leitung von Adolf Eichmann. Nach dem Krieg wurde das beschädigte Palais von der Familie Rothschild verkauft. Die AK riss es ab und errichtete an dieser Stelle ihre Niederlassung.

Zeichen für etwas, das nicht mehr existiert

Durch Anna Artakers Ausstellung hängen die Bilder also jetzt dort, wo sie früher hingen. Sie sind zurückgekehrt. Aber als Wiedergänger. Als Zeichen für etwas, das nicht mehr existiert. Nun existieren die Bilder ja – verstreut auf der ganzen Welt. Was aber nicht mehr existiert, ist deren Sammlung, sind die Personen, ist die Lebenswelt, die sie gemeinsam bildeten.

Die Ausstellung rekonstruiert keine Präsenz. Sie markiert eine frühere Fülle, sie rekonstruiert eine Leere. Ein anderes Wort dafür lautet: Gespenst. Anna Artaker ist es gelungen, die gespenstische Dimension der Materialität dieses Ortes und dieser Gemälde sichtbar zu machen. Auch das kann Kunst. Keine kleine Leistung.

27 Nov 2013

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Isolde Charim

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