taz.de -- taz-Serie Schillerkiez: Bebauung? Nein danke!
Die meisten Bewohner des Schillerkiezes wollen den Status quo des Tempelhofer Feldes erhalten.
Auf zur „Halbzeitparty“. Nassschwarz schimmert die Schillerpromenade im Halbdunkeln der Laternen. Und bis auf die schon etwas verblassten Herbstblätter, die gelegentlich vom Wind die Straße weitergefegt werden, ist es für Freitagabend doch erstaunlich ruhig. Aus dem Café Selig dringt noch Licht, am Tresen der Bikerkneipe Bierbaum 3 hängen vereinzelt Gestalten am Tresen. Doch auf der Promenade ist keine Menschenseele unterwegs – von Party keine Spur. Endlich: Lärm. Frenetisches Gejubel und Gegröle vom Ende der Straße. Die „Initiative 100 % Tempelhofer Feld“ hat offenbar Grund zum Feiern. Dann die Ernüchterung: Der Lärm schallt aus der Kneipe gegenüber: Fußball.
Im Schiller’s wird weder gegrölt noch gejubelt. Aber die Stimmung scheint recht ausgelassen und der Laden ist für seine Verhältnisse selten gut gefüllt. Den Eindruck bestätigt der Wirt, der – offensichtlich überfordert von den vielen gleichzeitigen Bestellungen – hektisch am Zapfhahn hantiert und nebenher verzweifelt versucht, die Getränke an die richtige Frau oder den Mann zu bringen. Rund 50 UnterstützerInnen der „Initiative 100 % Tempelhofer Feld“ und Interessierte feiern gemeinsam den Halbzeitstand nach zwei Monaten Unterschriftensammlung. Das Volksbegehren wirbt für den Erhalt des ehemaligen Flughafengeländes Tempelhof in seinem jetzigen Zustand und damit gegen jegliche Bebauung. Rund 80.000 Unterschriften sind mittlerweile laut Initiative eingegangen – gut 173.000 gültige müssen bis zum 13. Januar gesammelt werden (siehe Kasten), um einen Volksentscheid zu erwirken.
Gerade einmal 250 Meter liegt das Feld vom Schiller’s entfernt, kein anderer Teil Berlins ist derart eng mit dem Schicksal des Flughafengeländes verknüpft wie der Schillerkiez. Und nirgendwo sonst hat sich der radikale Wandel vom Flughafen zum Freizeitpark dermaßen schnell bemerkbar gemacht wie in diesem Kiez: vom zwielichten Problemviertel zu einem der beliebtesten Wohnquartiere der Stadt – innerhalb weniger Jahre, inklusive explodierender Mieten und sich entsprechend verändernder Bewohnerstruktur. Laut Masterplan des Senats für die Bebauung des Tempelhofer Feldes sind im Osten, auf der Seite des Schillerkiezes, 18 Wohnbauflächen und drei gemischte Bauflächen geplant, Wohnungen für 3.000 Menschen. Man würde damit den Bewohnern des Kiezes drei Wohnblockzeilen vor die Nase, also vor das Feld setzen – kein Wunder, dass sich die Initiative zum Volksbegehren hier gegründet hat.
„Ich war schon mal schlechterer Dinge“, gibt Niklas auf der Party trocken seine Einschätzung zur Lage der Unterschriftensammlung zum Besten. Die Quasi-Empfangsdame, Mitte 20, dunkle Locken und Vollbart, steht im Vorderraum und lauert unbekannten Gästen auf, um sie willkommen zu heißen und ein bisschen über die Initiative aufzuklären. Eine etwas ungewohnte Eingangssituation, vor allem für eine Eckkneipe, aber nett. „Ich hatte zwischenzeitlich schon Angst, dass es heute Abend eher ein Frustsaufen wird, aber jetzt ist wieder alles offen“, sagt Niklas.
Saufen aus Solidarität: Die Hälfte der günstigen 1,80 Euro für ein großes Bier gehen diesen Abend als finanzielle Unterstützung an die Initiative. Am Tresen lehnt ein vehementer Unterstützer der Aktion und friemelt seit Minuten hochkonzentriert an der Schnur eines Werbeluftballons der Initiative herum, während ein anderer Gast in Anzug und Krawatte sich angeregt mit zwei langjährigen Anwohnern aus dem Quartiersrat unterhält. Eine ältere Dame dreht gerade ihre Verabschiedungsrunde und im Hinterzimmer spielen ein paar Mädchen Billard.
Überall im Kiez sticht einem das grüngelbe Logo der Initiative ins Auge – als Aushang in den Schaufenstern, auf Unterschriftenlisten auf den Tresen und Theken und als Aufkleber an Fahrrädern und Masten. Schwieriger gestaltet es sich, Befürworter der Bebauung ausfindig zu machen. „Die gibt es“, bestätigt Mario Landsmann. „Zwei Drittel sind für das Feld, so wie es ist – und ein Drittel will die Bebauung“, glaubt er. Seit fünf Stunden harrt Landsmann schon in der Kälte am Wochenmarkt aus und bietet Quiche und Glühwein zum Verkauf, die Wangen zwischen Stirnband und Winterjacke rot. Seine Schätzungen entnimmt er den Gesprächen, die er jeden Marktsamstag an seinem Stand mit Kundschaft und Kollegen führt. Die Bebauung des Feldes sei „das Thema“. Der Markt am Herrfurthplatz habe die Funktion eines „Kommunikationsmarktes“.
Natürlich würde sich die Bebauung finanziell für ihn lohnen, meint Landsmann und deutet auf das Geschäft hinter sich. Erst kürzlich ist er mit seiner Wein- und Spirituosenhandlung von Schöneberg an den Herrfurthplatz gezogen. Die potenziellen neuen Nachbarn wären sicherlich überwiegend seine Zielgruppe. Aber wer einmal selbst auf dem Feld gewesen sei und dieses „einmalige Gefühl von Freiheit“ erlebt habe, könne eine Bebauung nicht unterstützen. Das Hauptargument der Befürworter sei vor allem der soziale Wohnungsbau, doch der sei bisher vom Senat an der Oderstraße gar nicht vorgesehen. Von „günstigem Wohnraum“ sei lediglich die Rede gewesen.
Ein paar Schritte vom Markt entfernt hat vor knapp einem Jahr das Pazzi Pizza eröffnet, ein Pizza-Imbiss. Einer von wenigen Läden in der Gegend, dessen Schaufenster nicht schon von weitem sichtbar mit dem Logo der Initiative beklebt ist – und in dem auch keine Listen ausliegen. „Die Unterschriftensammlung ist doch schon vorbei, oder?“ Völlig erstaunt berichtet Carmelo, einer der Geschäftsführer, dass sie nach den ersten Wochen einen ganzen Stapel von Unterschriftenlisten abgegeben hätten. „Die lagen hier auf der Theke und fast alle Gäste haben sich eingetragen, ohne dass ich einen Ton dazu gesagt habe.“ Nur hätten sie seit Wochen schon keine Listen mehr bekommen – er klingt fast ein wenig entrüstet. Aber der Standpunkt ist klar.
Christina Schwarzer, Neuköllner CDU-Direktkandidatin zur Bundestagswahl, hatte bei einer Diskussion mal gesagt, das Feld sei vor allem für die jüngeren Generationen reizvoll und würde von älteren Leuten kaum frequentiert. Die nächstbeste ältere Dame im Viertel will gerade auf ihrem Rad davonfahren. Auf dem Schutzblech: ein grüngelber Aufkleber.
Auch der Bierbaum 3 scheint von außen neutraler Boden zu sein. Kein Grüngelb im Schaufenster, keine Listen. Michael sitzt als einziger Gast am Tresen, ein Herrengedeck vor sich, einen Oberlippenbart unter der und eine Brille auf der Nase und auf dem Kopf ein blaues Cap mit der Aufschrift „U.S. Navy – Retired“. „Ich hab über 30 Jahre am Flughafen gearbeitet, Gepäckband, alles Mögliche.“ Für ihn zählen die schönen Erinnerungen. Was dort in Zukunft passieren werde, sei ihm eigentlich egal: „C’ést la vie!“ Unterschrieben hat er dennoch.
Der Inhaber des Ladens, Abdul-Kerim Güzel, sieht das Begehren pessimistisch. „Natürlich bin ich gegen die Bebauung – alle wollen, dass es so bleibt.“ Aber das Unterschriftensammeln sei „Quatsch“, reine „Zeitverschwendung“, denn: „Die machen doch trotzdem, was sie wollen.“
Von der U-Bahn Boddinstraße auf dem Weg Richtung Norden zeigt das Berliner Fenster neue Bilder einer alten Werbekampagne der Stadt. Ein Skater posiert vor bekannter Kulisse. Ein Hintergrund, der wie kein zweiter in den letzten Jahren das Bild von Berlin national und international geprägt hat, der binnen kürzester Zeit zum Symbol für die Besonderheit und Freiheit der Stadt avanciert ist: ein freies Flugfeld. Die Werbebotschaft: „sei berlin.“
4 Dec 2013
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