taz.de -- Kolumne Wutbürger: Der Pawlowsche Kuss
Knutschende Pärchen auf Konzerten von Indie-Bands: ganz schlimm! Schlimmer sind nur die, die feixend danebenstehen.
Das Experiment des russischen Psychologen Iwan Petrowitsch Pawlow brachte zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine bemerkenswerte Tatsache zum Vorschein: Richtig konditioniert läuft dem Pudel schon der Speichel im Mund zusammen, wenn er nur ahnt, dass gleich Futter in seinem Napf landet. Dafür reichen schon die Schritte des Herrchens aus, das den Raum betritt.
Leider war der gute Iwan nicht lang genug am Leben, um seine Entdeckung zu vervollständigen. Ihm zu Ehren möchte ich dies heute nachholen und den Pawlowschen Kuss in den wissenschaftlichen Diskurs einführen.
Zuverlässig zu beobachten ist dieses Phänomen auf Konzerten von Indie-Bands. Richtig konditioniert, läuft dem Besucher schon der Speichel im Mund zusammen, wenn er nur ahnt, dass gleich ein Kuss auf seinen Lippen landet. Dafür reichen schon die ersten Takte einer Ballade aus, in denen der Gitarrist verträumt an seinen Saiten zupft.
Unweigerlich wenden sich dann die Poppudel einander zu. Gucken sich tief in die Augen. Und schließen sie gerade rechtzeitig zum Refrain, um ihre Speichelflüsse im Meer der ewigen Liebe zu vereinigen.
So, als wären sie sicher, dass der Song, der da gerade gespielt wird und, ouhou, von Bergen handelt, die zusammen erklommen gehören, oder von der Überzeugung, dass man ja doch nicht den richtigen Partner findet, bis er plötzlich, kazzong, vor einem steht, oder vom, tataa, Versprechen, für immer zusammenzubleiben, dass dieser eine Song nur für sie bestimmt ist. Und so küssen sie sich dann auch.
Auf eine unschuldig-kitschige Weise, gegen die sogar La Boum aus den achtziger Jahren als Erotik-Thriller durchgeht. Noch schlimmer sind in solchen Momenten nur die Typen, die danebenstehen und sich darüber lustig machen. Das bin in der Regel ich. Um mich zum Schweigen zu bringen, hilft nur, mich zu küssen.
11 Jan 2014
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