taz.de -- Kolumne Generation Camper: Geh doch!
Wir sitzen zuviel. Selbst wenn wir uns fortbewegen, geschieht das zumeist im Sitzen. Dabei ist es doch so einfach: Aufstehen und losgehen.
Wir sitzen zu viel. Die/der Durchschnittsdeutsche legt außer Haus gut 40 Kilometer täglich zurück, motorisiert. Zu Fuß sind es nur 1.500 Meter. Unsere steinzeitlichen Vorfahren bewegten sich 20 bis 40 Kilometer täglich aus eigener Kraft. Wir aber sitzen im Auto, am Schreibtisch. Die Wirbelsäule hasst das.
Wir sitzen bequem. Unbequem wird es erst, wenn man wirklich sitzen muss. Von Hitlers Großbaumeister und Rüstungsmanager Albert Speer ist bekannt, dass er eines Tages zum großen Geher wurde – im Spandauer Knast. Zuerst „ging“ er nach Heidelberg. Das entsprach 2.296 Gefängnishofrunden. Bis zu seiner Haftentlassung kamen die Ziele München, Istanbul und Asien hinzu, rund 30.000 Kilometer. Eine rekordverdächtige Leistung. Selbst für den leistungsorientierten Albert Speer.
Vor allem Schriftsteller verblüffen immer wieder. Seume wurde durch seinen „Spaziergang“ nach Syrakus berühmt. Rousseau will seine Bücher ins „Hirn geschrieben“ haben, während er wanderte. Hölderlin ging mühelos 50 Kilometer am Tag. Liefen sie ihren Schreibtischen davon?
Unlängst stieß ich auf einen Roman mit dem eigenwilligen Titel „Gehen oder die Kunst, ein wildes und poetisches Leben zu führen“. Tomas Espedal, ein Norweger, thematisiert ein Schriftstellerleben mit ausschweifenden Wanderungen in Europa. Allein, zu zweit, aber immer im Nadelstreifenanzug.
Die Geschichte beginnt „ganz unten“, auf dem Fußboden, wo Espedals Alter Ego in (Alp-)Träumen deliriert. Er beschwört den entscheidenden Impuls aufzustehen: „Ich weiß nicht, ob du dich erinnerst … Dieser Triumph, sich aufzurichten vom Fußboden, und stehen zu bleiben und zu wanken, diese plötzliche Befähigung und kindliche Freude darüber, von Zimmer zu Zimmer gehen zu können.“
Gehen als „Triumph“, das klingt gut. Da schwingt Stolz mit und das große Glück, das jeder Mensch einmal empfunden hat, als er noch klein war. Vielleicht ist Wanderlust eine lebenswichtige Ressource? Ob Seume, Speer oder Espedal: Das Gehen hat immer geholfen. Und darum ist es gut.
22 Feb 2014
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Muss die Camperküche auf Junkfood aus dem Discounter zurückgreifen? Nein. Denn die Natur vor Ort bietet reichlich Nahrung. Man muss es nur wissen.
Bisher hat jeder Nationalpark hierzulande Protest und Streit ausgelöst. Touristen sind dabei die natürlichen Verbündeten der Naturschützer.
Sie sind eklig, diese Wanzen. Sie saugen Blut, hinterlassen Pusteln, und ständig juckt es. Die Pilger auf dem Jakobsweg können ganze Arien darüber singen.
Glamping ist jetzt auch bei uns angesagt. Ganz zur Freude der Wohnmobilhersteller. Glamping, das bedeutet soviel wie „Glamour“ plus „Camping“.
Wie ein Relikt aus Rotkäppchens Urangst-Universum, wo Realitäten und alte Traumata böse durcheinandergehen.
Hat sich das Reisen überholt? Einige Visionen für den Ausstieg aus dem Rattenrennen der Vielfliegerei zum Jahreswechsel.
Rucksackträger wäre in unseren Breiten eine Dienstleistungslücke. Warum muss Mann und Frau dieses Ding eigentlich immer selbst schleppen?
Die Gegenbewegung zur Verspießerung der Campingplätze ist längst da. Sie will das Camping-Abenteuer zurückerobern.