taz.de -- Kommentar Machtkampf in der Ukraine: Ein Staat droht zu verfallen

Die ukrainische Regierung hat die Initiative verloren. Um die Einheit der Landes zu bewahren, sind Gewehrkugeln das falsche Signal.
Bild: Schwächung des „Bruderlandes“: Pro-russische Demonstration im ostukrainischen Slawjansk.

Die Situation für die Ukraine erscheint aussichtslos. Lassen die Regierenden die prorussischen Separatisten im Osten gewähren, droht das Abgleiten dieses Landesteils von staatlicher Autorität. Gehen sie mit Gewalt gegen die Besetzer vor, droht eine Eskalation des Konflikts.

Kiew scheint sich nun für die zweite dieser Optionen entschieden zu haben. Es ist die fatalere. Das Eingreifen mag rechtsstaatlich legitim sein. Doch tote Demonstranten sind für die dortige russischsprachige Mehrheit kein Zeichen dafür, dass die Regierung in Kiew an einem Kompromiss interessiert wäre. Die „Russen“ in Donezk, Luhansk oder Slawjansk haben, berechtigt oder nicht, Existenzängste. Klug wäre, diese Ängste ernst zu nehmen und die Rechte dieser Menschen im Zentralstaat zu stärken, ohne diesen infrage zu stellen.

Die Proteste verbreiten sich rasch und reichen mittlerweile bis nach Odessa im Süden. Egal, ob diese nun von Russland angeleitet werden oder ob Einheimische die Initiative ergriffen haben: Die Demonstrationen und Besetzungen arbeiten russischen Interessen in die Hände, die eine Schwächung des einstigen Bruderlandes zum Ziel haben. Die ukrainische Regierung hat die Initiative verloren, kann nur mehr reagieren.

Es ist zu früh, um abzusehen, was aus diesem Land wird. Möglicherweise wird die Ukraine das Schicksal Zyperns teilen: das einer Aufspaltung in zwei Teile durch den Einmarsch eines Drittstaats, ohne dass das sezessionistische Gebiet die Anerkennung der Weltgemeinschaft erhielte.

Vielleicht endet der Machtkampf in einem Bürgerkrieg ähnlich wie in Jugoslawien. Und noch gibt es eine kleine Chance, dass der Staat als Einheit bestehen bleibt – zum Wohle aller Bevölkerungsgruppen. Aber dazu dürfen die Signale aus Kiew nicht aus Gewehrkugeln bestehen.

14 Apr 2014

AUTOREN

Klaus Hillenbrand

TAGS

Slowjansk
Arsen Awakow
Russland
Separatisten
Ostukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Ukraine
Ukraine
Ukraine
Ukraine
Slowjansk
Russland
Ukraine

ARTIKEL ZUM THEMA

Kommentar Unruhen in der Ostukraine: Loslösung um jeden Preis

Der Vorschlag eines Referendums in der Ostukraine wird dort nur wenig Gehör finden. Die bewaffneten Separatisten wollen nichts als die Destabilisierung.

Unruhen im Osten der Ukraine: Timoschenko will direkte Militärhilfe

Die ukrainische Präsidentschaftskandidatin glaubt nicht mehr an eine friedliche Einigung mit Russland. Und SPD- Chef Gabriel warnt vor einer Wiederholung der Geschichte.

Unruhen in der Ostukraine: Regierung in Kiew erwägt Referendum

Eine Volksabstimmung im Osten des Landes über den Verbleib in der Ukraine? Für Präsident Turtschinow ist das kein Tabu. Derweil beginnt ein Anti-Terror-Einsatz.

Ukraine-Konflikt vorm UN-Sicherheitsrat: West-östlicher Schlagabtausch

Russland und der Westen werfen sich gegenseitig vor, die Unruhen in der Ostukraine zu schüren. Ein Ultimatum aus Kiew haben die prorussischen Kämpfer verstreichen lassen.

Unruhen im Osten der Ukraine: Blutiger Anti-Terror-Einsatz

In der Stadt Slawjansk soll es bei einer Anti-Terror-Aktion gegen prorussische Separatisten Tote und Verletzte gegeben haben. Ein Krisentreffen in Genf droht zu platzen.

Außenbeauftragter der Krimtataren: „Ich vertraue nur noch Allah“

Russland muss gestoppt werden, meint Krimtatar Ali Khamzin. Sonst drohe die Radikalisierung der Krimtataren und die Weltherrschaft des Chaos.

Besuch im ukrainischen Revolutionsstab: Die Gestrandeten vom Maidan

Pascha, Witja und Elizaweta haben auf dem Maidan gekämpft und wollen ausharren. In ihr altes Leben können oder möchten sie nicht zurück.