taz.de -- Windparks vor Helgoland: „Faszination Offshore“

Helgoland wird zur Zentrale dreier Windparks in der Nordsee. Kritiker befürchten einen Rückgang des Tourismus. Die Insel steht vor einem Strukturwandel.
Bild: Offshorepark „Meerwind Süd/Ost“, rund zwei Kilometer nordwestlich von Helgoland.

Hier können keine Touristen mehr wohnen. Ein Arbeiter in neongelber Jacke tritt auf den Balkon des 4-Sterne-Hotels und steckt sich eine Zigarette an. Sein Blick schweift über die nächtliche Nordsee und die Düne, Helgolands vorgelagerte Insel. Nach ein paar Zügen verschwindet er im Zimmer, und das bläuliche Licht eines Fernsehers flackert durch die Gardinen.

Der Betreiber des Windparks WindMW hat das Atoll Ocean Resort zur Unterbringung seiner Angestellten gemietet - gleich für zehn Jahre. Denn am Südhafen Helgolands errichtet das Unternehmen eine Service- und Betriebsstation für den Offshore-Park Meerwind, der derzeit 23 Kilometer nordöstlich der „Urlaubs- und Erlebnisinsel“ wächst. Eigentlich sollten die 80 Turbinen jetzt anlaufen, aber der Wind, dessentwegen sie hier aufgestellt werden, verlangsamt den Fortschritt.

„Wir hoffen auf besseres Wetter“, berichtet Techniker Martin* auf dem Weg zu einer Besprechung am Hafen, „denn bereits ab eineinhalb Metern Wellenhöhe darf aus Sicherheitsgründen nicht mehr mit dem Schiff zu den Plattformen übergesetzt werden.“ Sein Aufenthalt verlängere sich deswegen um etwa ein Jahr. Martin möchte lieber anonym bleiben, seine Kollegen haben ihm dazu geraten. „Hier läuft nichts illegal“, versichert er, „aber ich bin ein kleiner Arbeiter und leicht zu ersetzen.“

Und er mag, was er tut. Man müsse sich nur Tschernobyl und Fukushima ansehen. Windkraft sei eine gute Sache. „Darüber hinaus ist sie umsonst, wenn die teuren Anlagen erst einmal installiert sind“, fügt der kräftige Mann hinzu und vergräbt seine Hände in den Jackentaschen. Erst bei Windstärke 10 müssten sie eventuell abgeschaltet werden, um eine Überlastung zu vermeiden. Günstig ist der Unterhalt der fast 150 Meter hohen Windräder nicht, insbesondere auf dem Meer. Die Belastung durch Wellen und Salz ist hoch und die Technik jung. Die Ingenieure rechnen mit mehreren Störfällen im Jahr.

„Helgoland hat einen gigantischen Vorteil“, erklärt Bürgermeister Jörg Singer, „von hier aus kann man schnell auf Schäden oder Probleme reagieren.“ Das wollen sich neben WindMW auch RWE (Innogy) und Eon (Climate & Renewables GmbH) zunutze machen, deren etwas weiter entfernte Parks Nordsee Ost und Amrumbank West ab 2014 und 2015 Strom liefern sollen. Die Gesamtleistung der drei Kraftwerke beträgt mehr als 850 Megawatt. Das „Südhafengelände“ teilen sich die Unternehmen, ein Gebiet, das nach Ansicht einiger Umweltschützer hätte unbebaut bleiben sollen.

„Die Natur leidet durch die Flächenversiegelung“, beklagt Vogelkundler Ulrich Kieschnick, „vorher war dort eine Salzvegetation, entstanden durch Wellenschlag und Spritzwasser.“ Sie habe als Deckung und Nahrung gedient für bestimmte Vögel wie die Ohrenlerche.

Ein gerngesehener Gast aus Marokko

Kieschnick arbeitet für den Verein Jordsand, der an Helgolands Binnenhafen eine der bunten Hummerbuden unterhält. In ihr erstreckt sich deckenhoch eine Nachbildung des roten Vogelfelsens. Auf kegelförmigen Eiern und künstlichem Vogelschiet balancieren dort ausgestopfte Basstölpel neben Trottellummen und Dreizehenmöwen. „Ein Haussegler aus Marokko ist gesichtet worden!“ Nachbar Hans Stühmer rauscht in die Hummerbude. „Kann ich mal das Buch haben?“ Ulrich Kieschnick reicht ihm den dicken Vogelführer über die Weichholztheke. Die Nachricht über die „Erstsichtung“ des Apus affinis verbreitet sich rasch auf der ganzen Insel. Per Funkgerät oder Mobiltelefon informieren sich die zahlreichen Hobby-Ornithologen gegenseitig über Raritäten.

Ein anderes Charakteristikum Helgolands werde verloren gehen, vermutet Hans Stühmer: die Stille. Helgoland war weitgehend frei von Verbrennungsmotoren, wegen der Baustellen für das Offshoreprojekt aber verkehren seit geraumer Zeit regelmäßig Lkws - auch während der kurzen Spanne, in der die Tagesgäste auf der Insel sind. „So viele Motoren hat es nicht einmal während des Aufbaus 1952 gegeben“, erinnert sich Stühmer, ehemals Leiter des Außenbezirks Helgoland des Wasser- und Schifffahrtsamts Tönning.

Es wird laut

Die größte Gefahr für den Tourismus aber sei der Lärm des zu erwartenden Hubschrauberverkehrs zwecks Wartung der Windräder. Denn neben Bootsanlegestellen und Aufzügen verfügen die Anlagen über Abwinschplattformen, auf die Material und Arbeiter abgeseilt werden können. Stühmer befürchtet 20 bis 30 Starts und entsprechend viele Landungen am Tag. „Dann ist unser Südstrand tot“, prophezeit er. Mehr als 900 Starts im Jahr und ebenso viele Landungen - also am Tag durchschnittlich etwa 2,5 Flüge - vertrüge die Insel nicht, bestätigt Bürgermeister Singer.

In Helgoland als Offshorebasis sieht der Bürgermeister aber „eine große Chance“ für die Gemeinde. Die Bevölkerung werde wachsen, wenn Arbeiter mit Familien herzögen, Gewerbesteuer werde fließen. „Voraussetzung für Gewerbesteuer sind schwarze Zahlen“, hält Hans Stühmer dagegen, „aber in der Windkraft wird alles abgeschrieben.“ Und die versprochene neue Arbeit für Insulaner werde keine anspruchsvolle sein. „Ich kenne nicht einen, der sich mit Windkraft auskennt!“, sagt Stühmer.

Für einen funktionierenden Tourismus müsse die Insel aussehen wie ein Park - vom Südhafen bis zur Jugendherberge. „Wenn man sie jetzt erreicht, denkt man, man käme an einen Industriestandort“, kritisiert der Helgoländer. „Völliger Käse“, meint Singer, „Offshore tut unserem Tourismus gut.“ Es werde ein Öffentlichkeitszentrum geben namens „Faszination Offshore“, auch Rundflüge über die Windparks würden bald wieder angeboten. Die im Unterland gelegene „Sansibar“ hat jüngst ihren Namen erweitert: „Sansibar Offshore Corner“ steht nun an der Tür. Englisch ist hier zweckmäßig: Viele Arbeiter kommen aus Dänemark und Schottland.

Schublade „Fuselfelsen“

„Das neue Standbein Offshore“ bedeute „einen Strukturwandel“, sagt Bürgermeister Singer. Aber er ist froh, dass Helgoland der „Fuselfelsen-Schublade“ entkommen ist.

Eine andere Idee, Helgoland aufzuwerten, spaltete die Bevölkerung im Sommer 2011: die Hochzeit von Düne und Hauptinsel durch eine Aufschüttung der seichten Unterbrechung. Ein Hamburger Investor wollte dort neuen Wohnraum schaffen, selbst ein Casino war im Gespräch. Mit knapper Mehrheit stimmten die Bürger dagegen. „Diese Entscheidung ist für zwei Jahre bindend“, sagt Bürgermeister Singer lächelnd, „die sind jetzt vorbei!“ Er befürwortet „die Aufspülung“, sie sei gut für den „demografischen Wandel“, aber, fügt er nach einer kleinen Pause hinzu, die Insulaner sollten auch bei einem neuen Vorstoß entscheiden dürfen.

Hans Stühmer bezweifelt den Nutzen einer Verbindung. Stets profitierten Investoren und die Insel gehe leer aus - seit Jahrzehnten beobachte er das. „Helgoland ist eine Edelnutte“, schimpft er, „alle wollen mal rüber und keiner will bezahlen.“ Mit der Windkraft habe man sie „wieder gelinkt“, dabei wären gerade die versprochenen Arbeitsplätze auf der Insel nötig: Eltern, die sich nicht leisten können, ihre Kinder zum Abitur aufs Festland zu schicken, verließen die Insel, „deshalb bluten wir aus!“ Weniger als 1.500 Personen leben noch dauerhaft auf der Insel.

Das Geichgewicht kippt

Man dürfe die Touristen nicht vergrätzen. „90 Prozent der Gäste wollen Natur“, meint der Insulaner, „und diese Natur wird mit Füßen getreten.“ Vogelfreund Kieschnick fordert die Wahrung der Gleichgewichts: „Wenn man auf Helgoland etwas kaputt macht, muss man es auch auf Helgoland wieder in Ordnung bringen.“

Das Interesse der Besucher allerdings sei nicht auf das Ursprüngliche beschränkt, berichtet der weißbärtige Kieschnick mit der grünen Weste. Viele Touristen, die er zu den Seehunden und Kegelrobben auf der Düne führe, fänden die im Minigolfteich ausgesetzten Gelbhalsschildkröten letztlich spannender als die Beschaffenheit der Insel.

Schon jetzt gehört zum nächtlichen Blick vom Oberland auf die See das stete Blinken der Windräder. Alle fünf Sekunden wischt das Licht des Leuchtturms über die Zeichen der Zeit. 25 Jahre betrage „die wirtschaftliche Nutzungsdauer“ der Offshore-Anlagen, sagt Bürgermeister Singer. Gebaut würden sie nur wegen der Förderbedingungen. Sich dieses Glücks bewusst, fügt er hinzu: „Wir haben die Energiewende hinter uns. Deutschland hat sie noch vor sich!“

10 May 2014

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Stein

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