taz.de -- Kolumne Ich meld' mich: Heimweh nach St. Pauli

Reisebegegnung: Mit 17 weg von zu Hause. Zur See gefahren. Gestrandet in Honduras. „Die Weiber waren mein Unglück“, erzählt der Landsmann aus Hamburg.
Bild: Hamburg und Elbe: Die Erinnerung daran wird bleiben.

„Aleman?“, sagt der Schullehrer, mit dem ich an der Bar in Honduras ins Gespräch gekommen bin. Da gebe es noch einen Deutschen hier. Draußen am Busbahnhof lebe er. „Komischer Typ“, schüttelt er den Kopf.

Am nächsten Morgen lande ich an einer ungepflegten Hütte am Rand der Kleinstadt. „Hola!“ Ein Hund bellt, und aus der Tür schlurft ein Mann und blinzelt mit wässrigen Augen gegen die Sonne.

Sechzig vielleicht. Die dreckigen Jeans früher blau, das rosa Hemd mit weißen Salzrändern steht offen über seinem Bauch. Aschgraue Strähnen bis in den Nacken, graue Schrunden im Gesicht – die Sonne hat Verheerungen angerichtet.

Ich sei aus Deutschland, zufällig hier gelandet, hätte von ihm gehört und hoffte, ihn nicht allzu sehr zu stören. „Na, ich arbeite zurzeit ja nicht gerade im, wie heißt das … Akkord“, grinst er.

„Deutscher, aha.“ Er mustert mich von der Seite, zieht an seiner halb durchnässten Zigarette, und als sein Lachen in Husten übergeht, poltern Brocken in seiner Brust.

Aber dann erzählt er. Er sei aus Hamburg und mit 17 abgehauen. „Wer hält es in diesem Dreckswetter schon aus?“

Hamburg, werfe ich ein: Ich käme ganz aus der Nähe. Aber das interessiert ihn nicht. Zur See gefahren. Hier gelandet. Aus. „Die Weiber waren mein Unglück“, knurrt er - auch wenn es schwerfällt, sich das heute vorzustellen.

Wovon er so lebt? „Rücklagen …“, erklärt er herablassend. Doch als merke er selbst, wie wenig dies zu dem Bild hier passt, schiebt er nach: „Muss ja nicht jeder, der irgendwo hängen bleibt, mit einer Villa protzen.“ Ab und an, hatte mir der Lehrer erzählt, dürfe er für die Stadt Grünanlagen säubern und erhalte ein paar Lempira. „Aber jetzt hab ich zu tun“, knurrt er, dreht sich abrupt um und geht zurück ins Haus. Gerade als ich mich abwende, winkt er noch einmal kurz.

„Und grüß mir dieses verpisste Hamburg bloß nicht!“

10 May 2014

AUTOREN

Franz Lerchenmüller

TAGS

Honduras
Hamburg
St. Pauli
Sibirien
Sibirien
Der Spiegel
Touristen
Island
Familie

ARTIKEL ZUM THEMA

Kolumne Ich meld' mich: Laufsteg Sibirien

Die pelzmützenfreie Zeit in Nowosibirsk währt nur kurz. High-Heels und superkurze Miniröcke haschen nach Aufmerksamkeit. Doch der Sommer ist schnell vorrüber.

Kolumne Ich meld' mich: Grün in den Genen

Die Farbe Grün allein genügt nicht. Um das Gemüt positiv zu beeinflussen, sollte es auch eine sanft geschwungene Hügellandschaft geben.

Kolumne Ich meld' mich: Wundersamer Dosenmilch-Zauber

Er kam auf einem Motorrad angeknattert, murmelte Gebete und speiste uns mit Kondensmilch. Und es war gut für die Reise!

Kolumne Ich meld' mich: Bange Momente vorm Spiegel

Das ist schon hart: Eine ganze Nacht im Flieger, in der Economy-Abteilung. Und dann hat man noch einen Sitznachbarn, der eigentlich zwei Tickets braucht.

Kolumne Ich meld' mich: Der Tod des Backpackers

Der neue Stern am Reisehimmel ist der „Flashpacker“, jener Reise-Nerd, der mit Laptop, Handy und USB-Stick durch den Dschungel tigert.

Kolumne Ich meld`mich: Im Westen nicht Neues

Der Flug hat Verspätung. Kein Mensch, niemand. Der Flughafen Gjögur und die ultimative Geduldsprobe für nervöse Festlandseuropäer.

Kolumne Ich meld' mich: TV zum Lammragout

Bevor die vielen, vielen Touristen kamen, war Spanien gastfreundlicher, wesentlich ärmer und auf jeden Fall überraschender.

Kolumne Ich meld' mich: How many years du?

Das kann ganz schön daneben gehen, wenn man sich mit gestikulierenden Händen und einfachen Strichzeichnungen verständlich machen will.

Kolumne Ich meld' mich: Die Zeit, dein Feind

Müdes Erstaunen sowie Überdruss am Reisen und am menschlichen Dasein: Der Jetlag nach 22 Stunden Flug hat es in sich.

Kolumne Ich meld'mich: Unterwegs in großen Nöten

„Koch es, schäl es oder lass es“: Man kann diese oberste Maxime auf Reisen verbissen befolgen – auch sie schützt am Ende nicht.