taz.de -- Dokumentarfilmer über Datenschutz: „Snowden ist die Wende“

Der Dokumentarfilmer David Bernet über Privatsphäre, Lobbyisten in Brüssel und weshalb der US-Whistleblower für ihn ein Glücksfall war.
Bild: David Bernet: „Ohne Snowden hätte das EU-Parlament vielleicht nicht so schnell die Bürgerrechte gestärkt.“

taz: Herr Bernet, Sie drehen gerade einen Dokumentarfilm über das neue Datenschutzgesetz und die EU. Noch staubtrockener geht’s nicht, oder?

David Bernet: Klar klingt das erst mal eher langweilig. Doch es geht um ein hoch spannendes Thema: Die Verteidigung der Bürgerrechte und der Privatsphäre in der digitalen Gesellschaft. Das betrifft uns alle, das ist überhaupt nicht abstrakt. Ich folge allen Menschen, die für das Thema streiten, und schaue, wie sie das tun.

Das Bonmot vom Facebook-Begründer Mark Zuckerberg dazu lautet: Privacy is dead.

Nach all dem, was wir durch Edward Snowden von den gängigen Überwachungspraktiken erfahren haben, hat er zumindest zum Teil Recht.

Der Europäische Gerichtshof hat am Dienstag ein Urteil gefällt, das Google dazu anhält, bestimmte personenbezogene Links zu löschen. Erweckt das die Privatsphäre wieder zum Leben?

Nein, das wäre zu viel verlangt. Aber es ist ein Urteil, das den Lobbyisten der IT-Branche Grenzen aufzeigt. Insofern ist es eine gewonnene Schlacht für die Bürgerrechtler, aber was das für das zukünftige Datenschutzgesetz bedeutet, ist offen.

Den Slogan „Recht auf Vergessen“ hat die Kommissarin Viviane Reding populär gemacht.

Ja, sie ist die Initiatorin für den Datenschutz auf EU-Ebene. Ihre Idee ist: Bürger müssen das Recht haben, die Kontrolle über die eigenen Daten im Netz zurückzuerobern. Kurzum: Die Daten gehören der Person und eben nicht den Suchmaschinen. So steht es auch in den Verträgen der EU.

Die Realität sieht aber anders aus.

Natürlich. Die Individuen haben die Kontrolle weitgehend verloren. Deswegen ist es für viele so wichtig, die Bürgerrechte wieder zu stärken.

Was sind eigentlich „personenbezogene Daten“?

Früher verstand man darunter Name, Adresse, Geburtsdatum. Heute hat man den Begriff erweitert, denn man kann ja einen Menschen identifizieren, auch ohne seinen Namen zu nennen. Man muss die anderen Informationen nur entsprechend aufbereiten.

Wie reagiert die EU auf diese neue, im Netz gespeicherte Informationsfülle, die kein Geburtsdatum mehr braucht?

Indem sie versucht, der IT-Branche besser zu kontrollieren. Deren Geschäftsmodell basiert ja auf dem Erstellen von Profilen und also geht es um enorme Summen. Deshalb tobt ja auch so ein Kampf in Brüssel um die neue Datenschutzverordnung.

In Deutschland bekommt man davon nicht viel mit.

Leider. Dabei ist der Konflikt sehr spannend und folgender: Das alte Datenschutzrecht, wie es unter anderem in Deutschland seit den 1960er Jahren entwickelt worden ist, sagt: Persönliche Daten gehören dem Datensubjekt – sie dürfen nicht von Dritten benutzt werden, es sei denn, es ist ausdrücklich erlaubt. Das amerikanische Recht funktioniert umgekehrt. Kurz gesagt: Mit persönlichen Daten ist alles erlaubt, es sei denn, es ist verboten. Damit haben die Amerikaner mit ihrer extrem liberalen Haltung auch die IT-Welt erobert.

Es kämpft also die Industrie gegen die Regierungen?

Das ist zu einfach. Zum einen ist da die Industrie, die ihr Geschäft mit personenbezogenen Daten macht beziehungsweise mit den Spuren, die die User im Netz hinterlassen. Gleichzeitig will sie eine Harmonisierung der Gesetzgebung auf EU-Ebene, aber die soll eben liberal sein. Die Nationalstaaten wollen zum Teil ihre Hoheit nicht abgeben und die Freiräume für ihre nationale Wirtschaft und Behörden sichern.

Welche Rolle spielt Deutschland?

Deutschland hat bei der Positionsfindung in den letzten zwei Jahren erhebliche Schwierigkeiten, weil Justizministerium und Innenministerium miteinander im Streit lagen.

Wo lag das Problem?

Die Justizministerin war aufseiten der Kommission und wollte ein europäisches Recht, das die Bürgerrechte schützt. Das Innenministerium unter Friedrich wollte lieber am deutschen Datenschutzgesetz festhalten, aus nationalen Erwägungen heraus, aber auch, weil sie Angst hatten, das differenzierte deutsche Recht würde durch ein europäisches verwässert.

Angesichts des NSA-Skandals fragt man sich, ob das Ringen um einen neuen Datenschutz nicht ohnehin Makulatur ist.

Für mich als Dokumentarfilmer war Edward Snowden ein Glücksfall. Er hat eine Wende eingeleitet und dafür gesorgt, dass Datenschutz wieder auf breiter Ebene diskutiert wird. Ohne ihn hätte das EU-Parlament vielleicht nicht so schnell zu einer Einigung gefunden und die Bürgerrechte gestärkt.

Hat sich das Parlament dann auch adäquat für ihn engagiert?

Das Problem ist, dass das EU-Parlament nur das Asyl für ihn fordern kann, aber nicht anbieten. Die Grünen und Teile der Sozialdemokraten und auch der Liberalen haben das getan. Die Konservativen mehrheitlich nicht.

Wird Privatsphäre in Zukunft allein ein Privileg der Reichen sein? Weil nur sie sich das Know-how und die dafür nötige Manpower kaufen können?

Ich hoffe nicht, dass das so wird, aber die Gefahr besteht. Dass niemand mehr seine Privatsphäre wirklich schützen kann, das ist längst kein Horrorszenario mehr, das ist der Fall. Nur dürfen wir nicht vergessen: Die meisten Menschen berührt das nicht, weil ihre Geheimnisse eher lapidar sind und sich niemand für diese interessiert.

14 May 2014

AUTOREN

Ines Kappert
Ingo Arzt

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