taz.de -- Grüne Lügen: Megatonnen statt Milligramm
Die Umweltpolitik marschiert in eine falsche Richtung, sagt Öko-Doyen Friedrich Schmidt-Bleek. Der Forscher fordert in seinem neuen Buch eine Ressourcenwende
BERLIN taz | Mit Ökotechnik die Umwelt retten. Sauber fahren mit Elektroautos. Die Energiewende stoppt die Klimakiller. Von wegen! Lauter Lügen! [1][„Grüne Lügen“], betitelt Umwelt-Urgestein [2][Friedrich Schmidt-Bleek] provokant sein neues Buch.
Für ihn marschiert die Umweltpolitik in die Irre, weil sie nur den Schadstoffen hinterherläuft, aber die riesigen, naturzerstörenden Materialverbräuche außer Acht lässt. Was der Planet dagegen braucht, ist eine Ressourcenwende, so Friedrich Schmidt-Bleeks Botschaft. In dieser Woche hat er sein Buch in Berlin vorgestellt.
„Die Ursünde der Wirtschaft ist ihre Ressourcenintensität“, sagt der heute 81-jährige Chemiker und Umweltforscher. Ende der 70er Jahre war Schmidt-Bleek am Berliner Umweltbundesamt der Vater des deutschen Chemikaliengesetzes. Am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie entwickelte er später den „ökologischen Rucksack“, eine Maßeinheit (Mips, Materialinput pro Einheit Service) zur Bestimmung der ökologischen Gesamtkosten. Hinter jedem Produkt und auch jeder Dienstleistung stehen unsichtbar die Aufwendungen der Rohstoffgewinnung.
Für Seltene Erden werden Landschaften umgepflügt, damit moderne Smartphones funktionieren können. Die Rucksackberechnung bringt Erstaunliches zutage: Der Ressourcenaufwand für eine elektronische Geldüberweisung ist genauso hoch wie die Herstellung von 10 Bierdosen aus Aluminium. Das vermeintlich umweltfreundliche Hybrid-Auto hat einen doppelt so großen Ökorucksack wie ein Benziner.
„Wenn man die Energiewende durchrechnet, werden unter dem Strich mehr Ressourcen verbraucht als vorher“, stellt Schmidt-Bleek fest. Beispiele sind die gigantischen Offshore-Windparks vor den Küsten, aber auch die Wärmedämmung der Häuser, sobald die spätere Entsorgung der giftigen Dämmstoffe mit berücksichtigt wird.
Die Einseitigkeit der Umweltpolitik, ihre Schadstofffixierung, hat den Öko-Doyen zu seiner neuen Veröffentlichung angetrieben: „Asbest und Dioxine sind in erster Linie Probleme für die menschliche Gesundheit, mit der ökologischen Stabilität des Planeten haben sie nichts zu tun.“ Hier sei ein Umdenken gefordert. „Dass dies gerade in einem Land mit so vielen Wissenschaftlern und Experten wie in Deutschland nicht vorankommt, ist beschämend“, kritisierte Schmidt-Bleek in seiner Adlershofer Präsentation.
Geld vergraben
Ein Manko, das auch Ernst-Ulrich von Weizsäcker, Gründer des Wuppertal Instituts, in der Veranstaltung bestätigte: „Wir müssen nicht allein auf die Milligramms achten, sondern auch auf die Megatonnen an Abraum.“ Derzeit leite er das Internationale Ressourcenpanel beim Club of Rome, das sich verstärkt mit den problematischen Nebenwirkungen der CO2-freien Technologien beschäftige, ergänzte von Weizsäcker. Dazu zähle die Technik der unterirdischen Kohlendioxidspeicherung CCS. „Damit wird letztlich nur Geld vergraben, ohne Umweltnutzen.“ Ähnliche zweischneidige Wirkungen lassen sich bei grünen Technologien wie Windkraft, Photovoltaik und Biomasse ausmachen.
Wie ein anderer ökologischer Umgang mit Ressourcen möglich ist, demonstrierte der österreichische Bauunternehmer Hubert Rhomberg, der sich in den letzten Jahren auf den Bau von Holz-Hochhäusern spezialisiert hat. „Die beste Technologie, um CO2 zu speichern, ist ein Baum, der wächst“, erklärt der Chef der Rhomberg Holding GmbH. Nach der Holzernte einen Baum zu verbrennen, etwa in Form von vermeintlich umweltfreundlichen Holzpellets, hält Rhomberg für ein „ökologisches Verbrechen“. Sinnvoller sei es, das Holz zunächst konstruktiv zu nutzen.
Kohlendioxid langfristig binden
„So können wir Kohlendioxid für hundert Jahre in Holzhäusern binden“. Holz besitze einen Ökorucksack-Faktor von unter 1, Stahl dagegen 8. Dass Holzbauten nach modernen Anforderungen, einschließlich Brandschutz, auch in Städten möglich ist, beweist Rhomberg gegenwärtig mit einem 100-Meter-Hochhaus, das in Wien entsteht.
Enttäuscht sind die Ökoforscher von den Umweltpolitikern. „Selbst im dicken Wahlprogramm der Grünen findet sich fast nichts zum Thema Ressourcen“, bemängelt Schmidt-Bleek. Von Weizsäcker hat zwar Passagen in der Koalitionsvereinbarung entdeckt, „aber sie werden nicht in Praxis umgesetzt“. Ein wichtiger Schritt wäre für Schmidt-Bleek die Einrichtung einer „Informationsagentur“ in Deutschland zum Thema Ressourcen und Stoffströme. Ein Konzept dafür wurde vor Jahren für die österreichische Regierung erarbeitet.
Auf dieser Grundlage könnten dann auch öffentliche Aufträge anders vergeben werden, mit dem Ziel eines geringeren Stoffverbrauchs. Schmidt-Bleeks Vorschlag: „Die öffentliche Hand muss sagen, wir vergeben künftig ein Drittel unserer Aufträge nur nach Rucksack-Kriterien.“
7 Jun 2014
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