taz.de -- Spanien - Niederlande (Gruppe B): Irgendwie historisch
Holland demontiert den Weltmeister Spanien und gewinnt mit 5:1. Robben, van Persie und Co. spielten sich in einen regelrechten Rausch.
Die Startbedingungen: Louis van Gaal hatte offenbar keine Lust mehr auf Versteckspiele. Das letzte Training vorm Spiel der Oranjes gegen Spanien war für Journalisten komplett offen. Auch die Aufstellung machte der Bondscoach früh öffentlich. Jonathan de Guzman sollte also neben Nigel de Jong im defensiven Mittelfeld spielen. Und vorn vertraute van Gaal den drei erfahrenen Offensivkräften Wesley Sneijder, Arjen Robben und Robin van Persie.
„Wir werden alles versuchen, die große Überraschung des Turniers zu sein“, sagte der kauzige Holländer, den es in der kommenden Saison ja nach England zu Manchester United verschlägt. „Wir können das Halbfinale und sogar das Finale erreichen“, sagte der 62-Jährige vor der Partie in Salvador, „ich glaube absolut daran.“ Spanien glaubte auch absolut daran - vorher. Xavi orakelte freilich schon mal: „Entweder wir gewinnen oder wir sterben mit dem Stil.“ Also mit Tikitaka. Und Ballbesitz. Und einer 1:0-Strategie. Warum sollten sie auch etwas anderes probieren. Damit sind sie in Südafrika Weltmeister geworden und 2012 Europameister.
Das Spiel: Wenn die Fernsehstationen nach dieser Weltmeisterschaft die schönsten Tore zusammenschneiden werden, dann wird man auf diese Partie zurückgreifen können. Sie lieferte reichhaltiges Material. Da war zum Beispiel der großartige Flugkopfball von Robin van Persie. Den Pass seines Teamkollegen Daley Blind verwertete der Angreifer von Manchester United derart gekonnt, dass Spaniens Torhüter Iker Casillas sich nur noch die Bogenlampe anschauen konnte, die über ihm angeknipst worden war.
Van Persie beendete seine Flugeinlage mit einem ebenso bemerkenswerten Bauchklatscher. Es war das 1:1 in der 44. Minute, das Intro zum grandiosen 5:1-Sieg, der Demütigung des Welt- und Europameisters. Holland im Fußballrausch. Die orangene Revolution.
Am Anfang der Partie ging es noch knapp zu. Holland hatte mit van Persies Köpfler ausgeglichen, nachdem Spaniens wuchtiger Angreifer Diego Costa sehr gekonnt einen Elfmeter geschunden hatte. Das war für Schiedsrichter Nicola Rizzoli aus Italien nur schwer zu durchschauen und folglich zeigte der Referee auf den Elfmeter-Punkt. Xabi Alonso verwertete den Penalty in der 27. Minute.
Insgesamt entspann sich in der ersten Halbzeit jenes Spiel, das die Fußballfans in der Arena Fonte Nova in Salvador erwarteten. Spanien versuchte sich vors Tor zu kombinieren. Holland probierte es mit hohen weiten Bällen auf Arjen Robben und Van Persie. So wollten sie das Mittelfeldgewusel, in das sie von den Spaniern verstrickt worden wären, meiden.
Gefährlich wurden die Spanier nach Balleroberungen im Mittelfeld. Dann folgte ein schneller steiler Pass auf Diego Costa, der mehrfach zu Chancen kam. Das spanische Spiel war stark auf den Angreifer von Atlético Madrid zugeschnitten, er wurde dann aber schon in der 63. Minute ausgewechselt. Es sind offensichtlich nicht mehr die kleinen flinken Seidenfüße wie David Silva oder Andres Iniesta, die es richten müssen, sondern „Stoßstürmer“ Costa, der vom brasilianischen Publikum nicht wirklich gemocht wird – aber dazu weiter unten mehr. Auffällig war auch, dass es Iniesta mehrmals mit Fernschüssen (!) probierte. Das war früher in der Hochphase des Tikitaka fast schon eine Todsünde. Später sollte Spaniens Spiel vollends kollabieren.
Logisch, dass das 2:1 der Holländer in der 51. Minute wieder nach einem langen Pass von Blind fiel. Arjen Robben pflückte den Ball aus der Luft, trickste zwei spanische Defensive aus und netzte ein. Stefan de Vrij erhöhte auf 3:1 per Kopfball. Der Treffer hätte freilich nicht zählen dürfen, weil Keeper Iker Casillas vorher behindert wurde. Den Holländern wurde dann sogar noch das vierte Tor geschenkt. Casillas patzte und Van Persie traf in der 72. Minute. Damit nicht genug, durfte auch Robben nochmal: 5:1 in der 80. Minute. Wow, was für ein Spiel! Das hatte schon irgendwie historische Dimensionen.
Der entscheidende Moment: Van Persies Traumtor, denn hier sahen die Holländer, dass ihre Taktik aufgehen könnte.
Spieler des Spiels: Robin van Persie: agil, gedankenschnell, in Hochform.
Die Pfeife des Spiels: Das brasilianische Publikum, weil sie Diego Costa auspfiffen, bei jeder Ballberührung. Beim Training der spanischen Nationalmannschaft in Curitiba hatten ihn einige Zaungäste sogar lautstark als „Verräter“ beschimpft. Der Stürmer des spanischen Meisters Atlético Madrid hatte nach zwei Länderspielen der Selecao den Rücken gekehrt. Er geht mit spanischem Pass nun für die Iberer auf Torejagd. Brasiliens Nationaltrainer Luiz Felipe Scolari, der den bulligen Angreifer 2013 vorm Confed-Cup gegen Italien und Russland getestet hatte, schimpfte damals nach Costas Abgang: „Er hat dem Traum von Millionen den Rücken gekehrt.“
Die Schlussfolgerung: Spanien muss nun wohl eine Reise zu sich selbst antreten, eine Art taktische Selbstvergewisserung. Und Holland? Darf sich ab jetzt ein paar Hoffnungen mehr machen – und erscheint endlich auf dem Radar der Titelaspiranten als Mitkonkurrent.
Und sonst? Da das Stadion Fonte Nova nach Süden hin teilweise offen ist, eröffnet sich ein Blick auf eine Favela in unmittelbarer Stadionnähe. Ein paar Bewohner lugten von ihren Behausungen herüber in die 280-Millionen-Dollar-Schüssel, die ein deutscher Architekt entworfen hat. Das Spielfeld war für sie allerdings nicht zu sehen, weil die Fifa die eigentlich offene Südseite mit einer provisorischen Tribüne hat zubauen lassen. Vielleicht hätte man ein paar Freikarten an die armen Anwohner verteilen sollen, denn ausverkauft war das Stadion beim besten Willen nicht.
13 Jun 2014
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