taz.de -- Kommentar Flüchtlingsbericht: Der Süden braucht Hilfe
Italien hat was geändert. Jetzt werden Flüchtlinge in Seenot gerettet. Doch es fehlen die Hilfe Europas sowie vor allem ein neues Denken.
Die weltweiten Fluchtbewegungen [1][haben eine neue Dimension angenommen.] Nicht verändert hat sich, dass nur die wenigsten der vertriebenen Menschen bei uns in Europa ankommen. Und selbst sie sollen von unseren Grenzen ferngehalten werden. Ein legaler Zugang für Flüchtlinge fehlt bis heute.
Die gute Nachricht ist deshalb: Derzeit werden Flüchtlinge vor den Toren Europas gerettet. Für viele Menschen aus Syrien und Eritrea ist die Reise über das Mittelmeer nach Italien der einzige Ausweg. Die „Mare Nostrum“-Mission hat in den letzten Monaten Zehntausende gerettet. Was mit den Menschen an Land geschieht, steht auf einem anderen Blatt.
Die Rettungsaktivitäten sind keineswegs selbstverständlich. Dokumentierte Fälle, in denen Italien keinen Finger rührte und Hunderte Flüchtlinge ertrinken ließ, liegen kein Jahr zurück. Jene, die auf eigene Faust eingriffen und halfen, wurden vielfach verfolgt: Vor zehn Jahren nahm die „Cap Anamur“ 37 schiffbrüchige Papierlose an Bord und brachte sie später nach Italien. Die Besatzung landete dafür erst im Gefängnis und dann vor Gericht. Und sie waren nicht die Einzigen. Doch seit der Schiffskatastrophe von Lampedusa im vergangenen Oktober leistet sich Europa etwas mehr Humanität. Die Frage ist nur, wie lange noch.
Denn bisher scheint die EU nur etwa ein Sechstel der millionenteuren Mare-Nostrum-Mission zu finanzieren. Den Rest tragen die Italiener allein und fühlen sich zu Recht von der Europäischen Union im Stich gelassen. Die Rettungsaktionen müssen nicht nur beibehalten, sondern ausgebaut – und deshalb europäisch finanziert werden.
Der Preis ist zu hoch
Der Weltflüchtlingstag ist eine gute Gelegenheit, etwas ganz Grundsätzliches zu begreifen: Wer über Flucht spricht, spricht auch über Umverteilung. Die Grenzen Europas trennen unsere Welt des Überflusses von der Armut und Not der anderen. Je durchlässiger sie sind, desto stärker werden sich die Verhältnisse angleichen.
Wer stattdessen die Grenzen verteidigt, verteidigt auch unser privilegiertes Lebens- und Konsummodell. Migration ist eine Form der Bekämpfung globaler sozialer Ungleichheit von unten, mit der sich manche, auch einige der Ärmsten, nehmen, was ihnen vorenthalten wird.
Nur: Der Preis, den sie dafür zahlen müssen, ist noch viel zu hoch.
20 Jun 2014
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Ohne eine Hilfsorganisation im Rücken fahren AktivistInnen aus Bremen nach Sizilien, um Hilfsgüter für die libyschen Flüchtlinge in der Kleinstadt Pozzallo zu liefern.
Bei der Veranstaltugn der Hilfsorganisation Cap Anamur hat Mitgründer Rupert Neudeck die EU kritisiert – und die italienische Marine für den Nobelpreis vorgeschlagen.
Seit Oktober sind 52.000 Kinder aus Mittelamerika in die USA geflohen. Ein neues Lager in New Mexico soll nun deren Abschiebung beschleunigen.
Als Flüchtling in Deutschland muss man kämpfen, um den Himmel zu sehen, sagt Regisseurin Susanne Dzeik: „Cloud Making Machine“ heißt ihr neues Filmprojekt.
Die Cap Anamur machte die Flucht über das Mittelmeer zum Thema. 2004 rettete das Schiff 37 Flüchtlinge aus ihrem Schlauchboot vor Sizilien.
Im Mai starteten etwa 100 Flüchtlinge von Berlin aus gen Brüssel. Sie protestieren damit gegen Europas Asylpolitik. Jetzt erreichen sie die EU-Hauptstadt.
Immer mehr Menschen werden über das Mittelmeer in die EU kommen, sagt Volker Türk vom Flüchtlingshilfswerk der UN. Von Asylverfahren in Nordafrika hält er nichts.
Weltweit waren seit dem 2. Weltkrieg noch nie so viele Menschen auf der Flucht wie heute. Besonders der Syrien-Krieg führte zu dem Anstieg.
Australiens höchstes Gericht hat die Einwanderungspolitik des Landes für rechtmäßig erklärt. Ein Flüchtling hatte dagegen geklagt, auf einer Insel festgehalten zu werden.
Kann man sich einen sicheren Aufenthalt erkämpfen? Fragen zu eineinhalb Jahren Flüchtlingsprotesten in Berlin. Ein Debattenbeitrag
Prominente setzen sich für die Flüchtlinge aus Lampedusa ein. Viele unterstützen das „Manifest für Lampedusa in Hamburg“.
Uday Al Khatib gelang die Flucht aus Syrien. Er lebt jetzt in Bremen. Wie lange er bleiben darf, weiß er nicht - aber dass seine Familie zu Hause hungert.
Über zwanzig Flüchtlingsboote sind am Sonntag auf dem Mittelmeer Richtung Europa unterwegs. Malta, Italien und die USA haben Rettungsschiffe entsandt.
Am Samstag haben mehr als 3000 Flüchtlinge Italien erreicht. Seit Herbst kommt die Marine dort Booten verstärkt zu Hilfe.
Nach den Schiffskatastrophen von 2013 hat Italien seine Flüchtlingspolitik geändert. Vor der Wahl werfen Linke wie Rechte der EU Indifferenz vor.