taz.de -- Abstimmung EU-Kommissionspräsident: Cameron zwischen den Stühlen
Der britische Premierminister ist nicht nur in Brüssel gescheitert. Auch zu Hause nimmt der Druck auf seine Regierung zu.
DUBLIN taz | Die Niederlage ist programmiert: Der britische Premier David Cameron wird den Luxemburger Jean-Claude Juncker nicht als EU-Kommissionspräsidenten verhindern können, wenn es zur Abstimmung kommt. Wie wird er darauf reagieren, wenn er am Montag vor dem Londoner Unterhaus Rede und Antwort stehen muss?
Vermutlich wird Cameron der EU ein Ultimatum stellen und radikale Reformen verlangen. Andernfalls, so könnte er drohen, werde er beim Referendum über Großbritanniens EU-Mitgliedschaft, das 2017 stattfinden soll, für den Austritt plädieren.
Dabei kann er sich auf aktuelle Meinungsumfragen stützen: 48 Prozent der Briten würden zurzeit gegen die EU-Mitgliedschaft stimmen, nur 37 Prozent wären dafür. Nur wenn es Cameron gelingt, Großbritanniens Mitgliedschaft neu zu verhandeln und Zugeständnisse für die Insel herauszuholen, gäbe es eine Mehrheit pro EU. Daran aber glauben nur 18 Prozent.
Ihre Skepsis ist berechtigt. Camerons Strategie, Europa zu reformieren, hat bisher keine Erfolge gebracht. Das Außenministerium soll laufend Kompetenzen identifizieren, die von Brüssel nach London zurückverlagert werden könnten – ist aber kaum fündig geworden. Die bisherigen sechs Zwischenberichte kamen zu dem Ergebnis, dass die britischen EU-Beziehungen angemessen und vorteilhaft seien.
Konkurrent Ukip
Mit seinem Vorstoß, die Personenfreizügigkeit einzuschränken, handelte sich Cameron zudem eine scharfe Abfuhr in Brüssel ein. Dabei hat Großbritanniens Regierungschef eben diesen Bereich als wichtigstes Thema für die Parlamentswahlen im kommenden Jahr identifiziert.
Dass man die Wähler längst nicht so gut mit dem diffusem Feindbild „EU“ mobilisieren kann wie mit der Einwanderung, hat auch die United Kingdom Independence Party (Ukip) kapiert. Sie argumentierte in ihrem höchst erfolgreichen Europa-Wahlkampf, dass nur ein EU-Austritt die Einwanderungswelle stoppen könne. Cameron hatte bei seinem Amtsantritt versprochen, die jährliche Nettozuwanderung – derzeit ca. 200.000 Menschen pro Jahr – auf einige Zehntausend zu senken. Ohne Erfolg.
Für die Arbeitgeber und auch für den Gesundheitsdienst sind die gut ausgebildeten Immigranten ein Segen, und die Oberschicht bedient sich gerne der billigen ausländischen Kindermädchen, Gärtner und Putzkräfte. Für die schlecht qualifizierten britischen Schulabgänger sind sie nicht nur Konkurrenz, sondern drücken auch die Löhne.
Cameron hat kein Rezept, um die Interessen dieser verschiedenen Gruppen unter einen Hut zu bringen, und vielleicht gibt es gar keins. Labour und die Liberalen jedenfalls wissen auch keinen Rat. Das wird den Rechtspopulisten Auftrieb geben und die EU-Ablehnung in Großbritannien verstärken.
27 Jun 2014
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
In Clacton dürften die Ukip-Rechtspopulisten bei der Nachwahl ihr erstes Direktmandat gewinnen. Ein Ortstermin beim Kandidaten.
Er wolle die Botschaft Ecuadors in London „bald“ verlassen, sagt der Botschaftsflüchtling. Doch die Briten bleiben stur.
Erstmals haben die Abgeordneten im EU-Parlament mit Jean-Claude Juncker ihren Kandidaten durchgesetzt. Ein voller Erfolg ist es dennoch nicht.
Sieg für das Europaparlament, Niederlage für Großbritanniens Premier Cameron: Jean-Claude Juncker ist als neuer Kommissionschef nominiert.
Die vor der Europawahl gemachten Versprechen wurden gebrochen – die Wähler dürfen sich verschaukelt fühlen. Am Kurs der EU-Politik ändert sich nichts.
Der britische Premier Cameron will Jean-Claude Juncker nicht als EU-Kommissionspräsident. Doch er wird ihn nicht verhindern können. Was treibt ihn?
Der britische Premier will partout nicht hinnehmen, dass Jean-Claude Juncker EU-Kommissionspräsident wird. Jetzt verlangt er eine Abstimmung.