taz.de -- Gaza-Israel-Konflikt: Hamas bricht humanitäre Feuerpause

Israel weitet seine Bodenoffensive aus. Am Sonntag sterben über 60 Palästinenser und 13 israelische Soldaten. Präsident Abbas ordnet Staatstrauer an.
Bild: Zwei Palästinenser fliehen während einer Feuerpause am Sonntagmorgen aus ihren Häusern in Schedschaija.

JAD MORDECHAI taz | Für zwei Stunden sollte das Feuer in Gaza eingestellt werden, doch dann fielen erneut Schüsse. Israel kam Sonntagmittag der Bitte des Internationalen Rotes Kreuzes auf eine temporäre Feuerpause nach. Dadurch sollten Verletzte aus dem Viertel Schedschaija im Osten der Stadt Gaza in die Krankenhäuser evakuiert und die Toten abtransportiert werden können. Israel hatte die Region vorher zur militärischen Sperrzone erklärt und Krankenwagen an der Durchfahrt gehindert. Doch schon kurz nachdem die Soldaten das Feuer einstellten, gerieten sie erneut unter Beschuss von Hamaskämpfern.

60 Menschen waren am Vormittag bei den Kämpfen im östlichen Teil von Gaza ums Leben gekommen, darunter 17 Kinder und 14 Frauen, wie die palästinensische Nachrichtenagentur Maan berichtete. Die palästinensische Politikerin Hanan Aschrawi warf Israel vor, in Gaza ein „Massaker“ anzurichten. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas ordnete eine dreitägige Staatstrauer an.

Bis zum Sonntagnachmittag wurden im Gazastreifen 13 israelische Soldaten getötet. Sie hätten sich schwere Kämpfe mit der Hamas geliefert, teilte das Militär mit. Israel hatte seine Offensive am Morgen ausgeweitet und Teile von Gaza-Stadt mit Panzern beschossen. Damit steigt die Zahl der Toten auf israelischer Seite seit Beginn der Krise am 8. Juni auf 20, darunter zwei Zivilisten. Dutzende Soldaten wurden verletzt. Auf palästinensischer Seite wurden bei israelischen Luftschlägen und Bodeneinsätzen mindestens 425 Menschen getötet.

Schon seit Tagen klagen die Krankenhäuser in Gaza über den Mangel an Verbandszeug, Antibiotika und Betäubungsmitteln. Die Ärzte kommen dem Andrang der Verletzten kaum nach. Über 200 Einlieferungen zählte das Schifa-Krankenhaus bis zum Sonntagmittag. In den Kühlräumen sei nicht genug Platz für die Toten. Jeder Tag bringe neue Rekorde an Toten und Verletzten, sagte Aschraf al-Kidra, Sprecher des palästinensischen Gesundheitsministeriums.

„Zwischen 6 und 7 Uhr war es am schlimmsten“, berichtet die 23-jährige Palästinenserin Maram Humaid telefonisch aus Gaza. Rings um das Haus gebe es Bombardierungen aus der Luft und in größerer Entfernung seien auch die Kanonen der Panzer zu hören. „Die Leute sind auf der Flucht beschossen worden“, sagt Humaid, darum, so vermutet sie, sei die Zahl der Zivilisten unter den Opfern so hoch.

Völlig überfüllte Schulen

Viele Familien seien gezwungen gewesen, „schwache und alte Angehörige zurückzulassen, um sich selbst in Sicherheit zu bringen“. Anlaufstellen sind die Krankenhäuser und die Schulen der UNRWA (UN-Hilfe für palästinensische Flüchtlinge). Weit über 60.000 Palästinenser sind auf der Flucht. Schon jetzt seien die Schulen völlig überfüllt, doch einen anderen Ausweg gibt es nicht. Die Grenzübergänge in beide Richtungen, nach Israel und Ägypten, sind geschlossen.

Vor drei Tagen schon warnte die Armee die Bevölkerung in Schedschaija, wo rund 80.000 Menschen leben, vor geplanten Angriffen. Die meisten Menschen blieben trotzdem in ihren Wohnungen. Maram Humaid berichtet von einer SMS, die ihre Freunde aus dem Viertel Schedschaija von der israelischen Armee erhalten hätten: „Ihr werdet etwas erleben, was Ihr noch nie gesehen habt.“ Es sei ein direkter Angriff auf die Zivilisten gewesen, sagt die junge Palästinenserin. Einige ihrer Freunde hätten zurückgetextet: „Ja, so etwas haben wir noch nie gesehen.“

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu kündigte dennoch an, die Bodenoffensive zusätzlich auszuweiten, und ordnete die Mobilmachung von 68.000 Reservisten an. Erklärtes Ziel der Bodenoffensive ist die Zerstörung geheimer Tunnel, durch die Terroristen nach Israel kommen könnten, um Anschläge auszuüben oder Israelis zu entführen. Der israelische Soldat Gilad Schalit, der fünf Jahre in Geiselhaft von der Hamas festgehalten wurde, war durch einen solchen Tunnel nach Gaza gebracht worden.

Geheimer Tunnel nach Israel

Allein in den letzten vier Tagen gelang es Hamaskämpfern zweimal, durch einen geheimen Tunnel nach Israel zu schleichen. Am letzten Donnerstag entdeckten Soldaten 13 schwer bewaffnete Palästinenser, die unmittelbar in den Tunnel zurückrannten und entkommen konnten. Am Samstag gab es ein weiteres Kommando von zwölf Männern, die eine Militärpatrouille angriffen und zwei Soldaten töteten, bevor die Luftwaffe die Gruppe bombardierte und einen der Palästinenser tötete.

Israel bleibe keine Wahl, als den Terror „effektiv zu bekämpfen“, sagt Uzi Dayan, ehemals Nationaler Sicherheitsberater, am Sonntag vor Journalisten in Yad Mordechai, zwei Kilometer nördlich vom Gazastreifen. Die Pressekonferenz musste mehrmals wegen Raketenalarm unterbrochen werden. Israel könne sich nicht der Willkür der Hamas aussetzen und „den Terroristen überlassen, zuzuschlagen, wann immer sie wollen.“

Die Soldaten hätten den Auftrag „die Tunnel ausfindig zu machen“, zum anderen müsse die Infrastruktur der Hamas zerstört werden. Dayan plädiert für Massenverhaftungen auch als Verhandlungsmasse für einen Waffenstillstand. „Jeder, der auf der Gehaltsliste der Hamas steht, sollte jetzt festgenommen werden.“ Für Daya wäre es sinnvoll, die Hamasführung zu stürzen. Egal, wer anschließend käme, „jeder wird sich daran erinnern, was mit der Hamas-Regierung passierte“.

(mit afp)

20 Jul 2014

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Susanne Knaul

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