taz.de -- Kommentar Google-Urteil: Richter dürfen laut nachdenken

Ein Verfassungsrichter hat das Urteil vom Europäischen Gerichtshof zum „Recht auf Vergessen“ kritisiert. Das ist okay – bloß nicht besonders klug.
Bild: Tanzt aus der Reihe: Verfassungsrichter Johannes Masing (2. von rechts).

Johannes Masing ist als Verfassungsrichter in Karlsruhe für Meinungsfreiheit und Datenschutz zuständig. Klar, dass er sich sofort Gedanken machte, als der Europäische Gerichtshof (EuGH) Mitte Mai sein Urteil zur Suchmaschine Google verkündete und ein Recht auf Bereinigung der Suchergebnisse zum eigenen Namen postulierte.

Masing schrieb einen kritischen Vermerk, 22 Seiten lang, und verteilte ihn an andere Richter, Politiker, Wissenschaftler, Datenschützer und Journalisten. [1][Jetzt wurde das Papier bekannt,] und sofort kam die Frage auf: Muss solche „Post aus Karlsruhe“ nicht veröffentlicht werden?

Nein, muss sie nicht. Auch ein Verfassungsrichter kann selbst entscheiden, wie er am öffentlichen Diskurs teilnimmt. Er kann Vorträge halten, Interviews geben, Fachaufsätze schreiben, ganz öffentlich. Aber er kann auch eine „vorläufige Einschätzung“ formulieren und sie an ausgewählte Personen weitergeben, um mit ihnen in eine zunächst private Diskussion einzutreten. So war es hier offensichtlich gedacht.

Ob dieses Verfahren auch klug war, ist eine andere Frage. Dass das Papier früher oder später öffentlich wird, damit musste Masing rechnen. Jetzt wird er mit Positionen aus dem Mai zitiert, die er heute vielleicht gar nicht mehr vertritt.

Schließlich war auch seine spontane Kritik am EuGH-Urteil teilweise problematisch. Sein Vorschlag, dass Bürger direkt mit den Medien streiten sollen, statt Anträge bei der Suchmaschine Google zu stellen, würde zwar die Position von Google schwächen, zugleich aber die Zensur von Pressearchiven ermöglichen. Für die Kommunikationsfreiheit wäre das eher kontraproduktiv. So gesehen ist es doch beruhigend, dass Vorschläge von Johannes Masing erst einmal nur „vorläufige“ waren.

4 Aug 2014

LINKS

[1] http://irights.info/artikel/verfassungsrichter-masing-eugh-droht-liberale-linien-des-aeusserungsrechts-zu-unterlaufen/23795

AUTOREN

Christian Rath

TAGS

Google
Verfassungsgericht
EuGH
Vergessenwerden
Google
Google
Google
Recht auf Vergessen
Google
Russland
Google
Internet
Recht auf Vergessen

ARTIKEL ZUM THEMA

Recht auf Vergessen bei Google: Fast jeder zweite Antrag bewilligt

In vier Monaten gab es europaweit knapp 145.000 Anträge zur Löschung von Suchergebnissen. In knapp 42 Prozent der Fälle folgte Google dem Wunsch der Nutzer.

EuGH-Richter über Google-Urteil: „Das Recht auf Privatheit überwiegt“

Das Urteil war kein Angriff auf die Pressefreiheit, sagt Koen Lenaerts, Vizepräsident des EU-Gerichtshofs. Das Gericht sei ein Schützer von Demokratie und Grundrechten.

Journalist lässt bei Google löschen: Bild dir keine Meinung

Google hat nun auch Texte des „Bildblogs“ aus seinen Trefferlisten entfernt. Beantragt hat das ein Journalist der „Bild am Sonntag“.

„Recht auf Vergessen“ im Internet: 100.000 Löschanträge gestellt

Nach dem EuGH-Urteil zum „Recht auf Vergessen“ sind bei Google über 100.000 Löschanträge eingegangen. Auch andere Suchmaschinenanbieter sind betroffen.

Recht auf Vergessen: Blackbox Google

Medien können sich kaum wehren, wenn Google Links aus der Trefferliste einer Person löscht – und das betrifft nicht nur Verleumdungen.

Kolumne Der Rote Faden: Die Optimierung der Vergangenheit

Google glotzt einfach doof, Hitlers Kirche wird wieder aufgebaut und Russland macht auf Sowjetunion. Ein Wochenrückblick.

Debatte Googles Marktmacht: Suchen im Dunkeln

Google löscht Links und gefährdet so die Pressefreiheit? Das ist genau die Debatte, die dem Konzern guttut. Und sie geht dennoch am wahren Problem vorbei.

Internet-Professor über Vergessen: „Nicht Perfektion, sondern Pragmatik“

Internet-Experte Viktor Mayer-Schönberger fordert: Google soll den Weg zur gesuchten Webseite erschweren, aber nicht verhindern.

Digitale Imagepflege mit Google: Huch, vergessen

Jetzt ist auch die taz betroffen. Google beginnt Links aus seinen Ergebnislisten zu löschen – und benachrichtigt die betroffenen Medien. Und die Pressefreiheit?