taz.de -- Präsidentschaftswahl in der Türkei: Keine faire Chance im Wahlkampf
Gleich zwei Kandidaten treten gegen Erdogan an, der auch die Medien kontrolliert. Ihre Chancen, auch nur in die Stichwahl zu kommen, sind gering.
ISTANBUL taz | „Ich freue mich, dass ich nach Wochen, in denen auf diesem Kanal nur Herr Erdogan zu sehen war, nun auch einmal zu Ihnen sprechen darf.“ Spöttisch nutzte der kurdische Präsidentschaftskandidat Selahattin Demirtas vor wenigen Tagen die Möglichkeit, erstmals im staatlichen Fernsehsender TRT zu sprechen, um sich direkt an die Zuschauer zu wenden und die Senderchefs zu kritisieren.
Die mediale Ungleichbehandlung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und den beiden Oppositionspolitikern Demirtas und Ekmeleddin Ihsanoglu ist einer der Gründe, warum die beiden Letzteren bei der Präsidentschaftswahl am kommenden Sonntag sehr geringe Chancen haben werden. Denn auch private Kanäle trauten sich kaum, die Oppositionskandidaten zu zeigen. Zu sehr hat Erdogan in den vergangenen Jahren die Medien unter Druck gesetzt.
Doch Erdogans entscheidender Vorteil ist die Spaltung der Opposition. Da er vermutlich knapp 50 Prozent der Wähler hinter sich hat, hätte nur ein gemeinsamer Kandidat der Opposition eine Chance. Zwar haben sich die säkular-kemalistische CHP und die nationalistische MHP auf den Islamprofessor Ihsanoglu als gemeinsamen Kandidaten geeinigt, doch die kurdisch-linke HDP macht bei dem Bündnis nicht mit.
Denn aller Kritik an Erdogan zum Trotz sind die Gräben zwischen den Kurden und der extrem-nationalistischen MHP tiefer. Deshalb hat die HDP mit Demirtas einen eigenen Kandidaten aufgestellt, was zur Folge hat, dass die Opposition es nun höchstens schaffen kann, Erdogan im ersten Wahlgang am Sonntag zu verhindern, nicht aber selbst zu gewinnen.
Personelle Unzulänglichkeiten
Auch im Falle eines zweiten Wahlgangs werden die Kurden nach Zugeständnissen Erdogans eher den Ministerpräsidenten wählen als den Kandidaten von CHP und MHP, von dem sie für ihre Zukunft viel weniger zu erwarten hätten.
Zu diesen strukturellen Nachteilen kommen personelle Unzulänglichkeiten der Oppositionskandidaten. Demirtas ist als Kurde für die meisten Türken nicht wählbar. Bis auf einen kleinen Kreis linker türkischer Unterstützer kann er nur auf die kurdischen Stimmen hoffen. Zehn Prozent wären für ihn ein gutes Ergebnis.
Ihsanoglu ist ein honoriger, moderater Professor, der im kleinen Kreis überzeugen kann, aber nicht bei großen Wahlkampfauftritten. Erdogan spottet über ihn, er könne zwar sechs Sprachen, „aber wählen wir hier einen Übersetzer oder einen Präsidenten?“. Während Demirtas rhetorisch ebenfalls beschlagen ist, hat Ihsanoglu dem Spott von Erdogan nichts entgegenzusetzen.
Hinzu kommt, dass Erdogan hemmungslos die ethnisch-religiöse Karte spielt, um sich als Vertreter der sunnitischen türkischen Mehrheit zu präsentieren. Als er in einer TV-Sendung vorsichtig dafür kritisiert wurde, sagte er: „Mich hat man ja auch schon mal einen Georgier genannt (weil seine Familie aus einem Dorf nahe der georgischen Grenze stammt; d. Red.) oder, noch viel schlimmer, sogar als Armenier denunziert. Ich bin aber ein reiner Türke.“ Ein Kurde und ein in Kairo geborener Islamwissenschaftler haben da keine Chance.
8 Aug 2014
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