taz.de -- Flüchtlingsprotest auf dem Dach: Polizei verbannt Mahnwache

Unterstützer dürfen nicht mehr in Sichtweite der Dachbesetzer demonstrieren - angeblich aus Sicherheitsgründen.
Bild: Seit zehn Tagen verbarrikadieren sich Flüchtlinge aus Niger auf dem Dach eines Hostels in Berlin-Friedrichshain.

Am zehnten Tag der Dachbesetzung in Friedrichshain hat die Polizei den Druck auf die protestierenden Flüchtlinge weiter erhöht. Sie verbot die Solidaritätsmahnwache an der Ecke Scharnweberstraße/Gürtelstraße und verlegte sie auf den Gehweg nördlich der S-Bahnbrücke. Damit können die Unterstützer nicht mehr in Sichtweite der Dachbesetzer demonstrieren. Die Verlegung am Donnerstagmittag erfolgte „wegen zunehmender Gefahrensituationen auf dem Dach“, twitterte die Polizei.

Die grüne Abgeordnete Canan Bayram nannte die Polizeiaktion gegenüber der taz „einer Demokratie unwürdig“. Die Flüchtlinge auf dem Dach würden zunehmend isoliert, wenn man Solidaritätsbekundungen von der Straße für sie unsichtbar macht. „Aber das passt ja zur Strategie des Aushungerns“, so Bayram. Auch der Abgeordnete der Piraten-Fraktion Fabio Reinhardt findet die Begründung mit der „Gefahrensituation“ nicht überzeugend, die Anwohner würden ja auch durch die Absperrung gelassen. „Da könnten die Flüchtlinge ja auch vom Dach springen“, so Reinhardt.

Seit zehn Tagen verbarrikadieren sich bis zu zehn Männer auf dem Dach eines Hostels. Sie protestieren gegen die Ausweisung von inzwischen über 130 Oranienplatz-Flüchtlingen aus Berlin und fordern die erneute Prüfung ihrer Anträge bei der Ausländerbehörde. Der Senat reagiert darauf bislang nicht. Die Polizei hat das Gebäude weiträumig abgesperrt und sagt, sie sei „im Gespräch“ mit den Flüchtlingen. Laut einem Mann, der inzwischen vom Dach gestiegen ist, besteht die Verhandlung vor allem darin, Sätze wie „Für euch interessiert sich doch keiner!“ herüberzurufen.

Die Verwalter des Hostels erklärten dagegen am Donnerstag, die Flüchtlinge seien vorigen Freitag bereit gewesen vom Dach zu steigen im Gegenzug für weitere Tage Unterkunft in Berlin. Die Pressemitteilung suggeriert, eine Rechtsanwältin, die kurzzeitig Zugang zu den Protestlern hatte, habe offenbar davon abgeraten, das Angebot anzunehmen.

Unterdessen sieht es so aus, als ob die CDU Lichtenberg doch nicht, wie zunächst an dieser Stelle vermeldet, ihr für Samstag geplantes Fest in der Parkaue abgesagt hat. Die Veranstaltung werde "natürlich" stattfinden, erklärte das Theater am Freitag. Die CDU Lichtenberg war am Freitag nicht für die taz zu erreichen. Flüchtlingsunterstützer hatten dazu aufgerufen, das Fest, zu dem auch Innensenator Frank Henkel kommen soll, zu „besuchen“. Aus verschiedenen Richtungen, unter anderem bei [1][Facebook], hieß es dann am Donnerstag, das Fest sei abgesagt worden - vermutlich aus Angst vor autonomem Protest.

Überhaupt verlegt sich der Protest gegen die Berliner Flüchtlingspolitik zunehmend ins Internet. Am Mittwoch veröffentlichte die Gruppe „Lampedusa in Berlin“ einen [2][45-minütigen Film über Lampedusa-Flüchtlinge auf Youtube], indem auch Mohamed, einer der Männer auf dem Dach, per Telefoninterview zu Wort kommt.

Zudem startete vor drei Tagen [3][eine Petition an Henkel auf chance.org] mit der Forderung „nach einer tatsächlich fairen und rechtlich möglichen Prüfung der Fälle aller Teilnehmer_innen des Oranienplatz-Agreements“. Bis Donnerstagnachmittag hatten 1.529 Menschen unterschrieben.

4 Sep 2014

LINKS

[1] http://www.facebook.com/infoguertelstr?fref=ts
[2] http://www.youtube.com/watch?v=5mEvDsFbyxk
[3] http://www.change.org/p/innensenator-von-berlin-frank-henkel-stoppen-sie-ihre-verantwortungslose-politik-gegen%C3%BCber-den-fl%C3%BCchtlingen-des-sogenannten-oranienplatzagreements

AUTOREN

Susanne Memarnia

TAGS

Flüchtlinge
Oranienplatz
Gürtelstraße
Frank Henkel
Flüchtlingspolitik
Antifaschismus
Autonome
Flüchtlinge
Flüchtlinge
Flüchtlinge
Schwerpunkt Rassismus
Flüchtlinge

ARTIKEL ZUM THEMA

Flüchtlingsproteste in Berlin: Kirche in Kreuzberg besetzt

Aus Protest gegen die deutsche Asylpolitik haben sich 120 Flüchtlinge in der Kreuzberger Thomaskirche niedergelassen. Politikern werfen sie Betrug vor.

Kommentar Berliner Antifa: Scheitern der Kapuzenpolitik

Eine Gruppe, die die antikapitalistischen Kämpfe über Jahre entscheidend geprägt hat, gesteht ihre Lernfähigkeit ein. Auf Wiedersehen.

Autonome in Berlin: Die Tonangeber sind verstummt

Ob 1.-Mai-Demo, G-8-Protest oder Nazi-Blockaden – die Antifaschistische Linke Berlin war stets dabei. Nun hat sie sich aufgelöst.

Asyl in Berlin: Flüchtlinge ziehen bitteres Fazit

13 Tage lang hielten Flüchtlinge ein Dach in Berlin-Friedrichshain besetzt. Nun erheben sie Vorwürfe gegen die Polizei und die Politik.

Berliner Flüchtlingsproteste: Am Ende ihrer Kräfte

Jetzt haben auch die letzten Flüchtlinge in der Gürtelstraße aufgegeben – zermürbt von falschen Versprechungen. An ihrer Situation ändert das nichts.

Geplatzter Berliner Asyl-Kompromiss: Flüchtlinge verlassen das Dach

Der Protest auf dem Hostel in Berlin-Friedrichshain ist beendet. Die Sperrung der Gürtelstraße wurde aufgehoben. Vor dem Gebäude gibt es weiterhin eine Mahnwache.

Flüchtlingspolitik in Deutschland: Sieg des Chauvinismus

Die Deutschen fühlen sich so sicher wie seit zwanzig Jahren nicht mehr. Aber sie wehren Flüchtlinge ab, als wären sie bankrott.

Flüchtlingsprotest auf dem Dach: Ärzte kritisieren Senat

Die Verweigerung von Wasser für demonstrierende Flüchtlinge sei verantwortungslos, kritisieren Ärzteorganisationen. Vier Männer geben Protest auf.

Asylbewerber in Berlin: Türen zu, Problem vertagt

Vor der Erstaufnahmestelle für Asylbewerber, die der Sozialsenator bis Montag geschlossen hat, drängen sich Flüchtlinge. Die Verwaltung plant derweil Containerdörfer.

Flüchtlingsprotest auf dem Dach: Abendmahl auf der Straße

Polizei bringt Oranienplatz-Flüchtlingen etwas Wasser aufs Dach, Pfarrer zelebriert Messe auf der Straße. Proteste bei einer Rede von Senatorin Dilek Kolat.

Protest der Oranienplatz-Bewegung: Flüchtling erringt Teilsieg vor Gericht

Polizei dreht Flüchtlingen auf dem Dach eines Hostels Strom und Wasser ab. Unterdessen gibt das Sozialgericht einem Mann Recht: Berlin muss ihn weiter unterstützen.

Dachbesetzung in Berlin: Polizei will Flüchtlinge aushungern

Bis zu zehn Oranienplatz-Flüchtlinge harren auf dem Dach eines Hostels aus, um gegen die Einstellung aller Leistungen zu protestieren.

Flüchtlinge in Berlin: Am Ende bleibt nur Angst

Aus Furcht vor einer Abschiebung besetzen Bewohner das Dach einer Unterkunft. Der Flüchtlingsrat kritisiert den Senat scharf.

Oranienplatz-Flüchtlinge: Die Allerletzten in der Schlange

Der Senat verweigert den Flüchtlingen vom Oranienplatz reguläre medizinische Hilfeleistungen – obwohl sie laut Gesetz einen Anspruch darauf hätten.

Asyl: Yusef wartet auf eine Entscheidung

Oranienplatz-Besetzer Yusef ist jetzt in der Unterkunft in der Gürtelstraße. Genau wie andere Flüchtlinge hat er seine Erlebnisse in einem Kurzfilm festgehalten.