taz.de -- Kommentar „Sichere Herkunftsländer“: Gute Menschen, schlechte Menschen

Asyl für Balkan-Flüchtlinge? Die Grünen müssen entscheiden, ob Bosnien, Serbien und Mazedonien sicher sind. Deals sind fehl am Platz.
Bild: Ein Junge aus Bosnien in einem Berliner Flüchtlingsheim – ihn zurückzuschicken, ist entweder vertretbar oder nicht.

Am Freitag müssen sich die Grünen im Bundesrat entscheiden: Wie halten sie es mit dem Asylrecht für Menschen aus Serbien, Bosnien und Mazedonien? Kann man diese Staaten zu „sicheren Herkunftsländern“ erklären – oder nicht? Diese scheinbar einfache Frage scheint die Grünen zu überfordern. Zu hören ist ein peinliches Hin und Her.

Kein Wunder: Etwas bundespolitisch Bedeutsames zu entscheiden sind die Grünen nicht mehr gewohnt, eine führungsfähige Leitung fehlt. Bei all den Weltkrisen ging es den Grünen wie den meisten halbwegs empathiefähigen deutschen Bürgern: Fast täglich sahen sie Berichte über Flüchtlinge, die versuchten, aus Kriegs- und Notgebieten in die EU zu gelangen.

Schlimm, schlimm, dachten und sagten da die Grünen. Mehr helfen, lautete der berechtigte, aber auch leicht wohlfeile Appell der Bundesgrünen. Selbst zu entscheiden oder zu bezahlen hatten sie ja nichts. Erst jetzt im Bundesrat, weil eine grüne Stimme gebraucht wird, prallen ihre hehren Positionen mit realer Politik zusammen.

Real ist ein unmoralisches Tauschangebot der Bundesregierung: Wenn die Grünen helfen, die Tür zum Balkan noch fester zuzuknallen, könnte es für Flüchtlinge aus anderen Ländern Verbesserungen geben. Vielleicht. Was auch immer Berlin anbietet: Der Fehler der Grünen liegt darin, sich auf solche Verhandlungen überhaupt einzulassen.

Entweder ist es vertretbar, die Balkanstaaten für sicher zu erklären, oder nicht. Man kann argumentieren, dass ohnehin fast alle Bewerber abgelehnt werden und die neue Einstufung nur die lange Prüfung der Anträge verkürzt. Man kann, wenn man das glaubt, diesen Staaten so indirekt bescheinigen, dass sie mit Roma und Sinti korrekt umgehen. Dann sollte man das aber auch offen sagen – und eine Zustimmung nicht schönreden.

Wollen die Grünen einem Asylbewerber vom Balkan erklären, dass er leider keine Chance habe, weil dafür ein Flüchtling aus Syrien in Deutschland jobben darf? Oder wollen die Grünen ihren Wählern sagen, dass sie mithelfen, Roma und Sinti schneller rauszuschmeißen, damit für Jesiden mehr Platz frei wird? Als ob nur so Platz geschaffen werden könnte. Das kann nicht ihr Ernst sein. Gefragt ist am Freitag ein klares Ja oder Nein der Grünen zur Frage der „sicheren Herkunftsländer“ – ohne Tricks. Alles andere wäre ein schlechter Anfang für die Auseinandersetzung mit der AfD.

18 Sep 2014

AUTOREN

Lukas Wallraff

TAGS

Asylpolitik
Asylrecht
sichere Herkunftsländer
Balkanstaaten
Sinti und Roma
Geheimdienst
Bosnien und Herzegowina
Bosnien und Herzegowina
Flüchtlinge
Flüchtlinge
Flüchtlingspolitik
Flüchtlinge
Serbien
Asylrecht
Flüchtlinge
Thomas de Maizière
Flüchtlinge
Flüchtlingspolitik
Flüchtlinge

ARTIKEL ZUM THEMA

Lauschangriff in Mazedonien: Überwachung der Presse

Mehr als 100 Journalisten, aber auch Politiker, Juristen, Polizisten und NGOs sollen von der Regierung abgehört worden sein. Die Vorwürfe erhebt die Opposition.

Deutsche Asylpolitik: Die Unerwünschten

Seit Herbst gilt Bosnien und Herzegowina als „sicherer Herkunftsstaat“. Aber was heißt das schon? Besuch in einer Roma-Siedlung.

Kulturszene in Bosnien-Herzegowina: Nicht mehr ihr Land

Die Stadt Mostar hatte vor dem Krieg ein reiches Kulturleben. Heute wandert die kreative Szene ab. Daran wird auch die Wahl nichts ändern.

Private Unterkünfte für Flüchtlinge: Einmal Deutschland und zurück

Iraker fliehen vor dem Krieg. In Deutschland stoßen sie auf Skepsis und Ablehnung – aber auch auf Menschen, die ihnen die Türen öffen.

Kommentar Reform des Asylrechts: Ein mieser Deal

Das Flüchtlingsthema ist zurück und könnte helfen, linke Positionen wieder zu erhärten – und auch den Widerstand gegen Schwarz-Grün.

Protest gegen die Asylrechtsreform: Verschenkte Menschenrechte

Flüchtlinge und Unterstützer versammelten sich vor dem Bundesrat. Sie demonstrierten gegen die Erleichterung von Abschiebungen und gegen die Grünen.

Besetzung der grünen Parteizentrale: Flüchtlinge fordern Unterstützung

Mit der Besetzung protestieren Flüchtlinge und UnterstützerInnen gegen die geplante Asylrechtsreform.

Protest gegen Reform des Asylrechts: Flüchtlinge besetzen Grünen-Zentrale

Aktivisten haben die Geschäftsstelle der Grünen in Berlin besetzt. Die Partei soll am Freitag gegen die Verschärfung des Asylrechts stimmen.

Asylhandel spaltet die Grünen: Das Zünglein an der Waage

Die Grünen streiten über das Asylrechtsgesetz. Aber darf man Verbesserungen für hier lebende Flüchtlinge mit einem verschärften Asylrecht erkaufen?

Unterkünfte für Flüchtlinge fehlen: „Kaum noch lösbare Aufgabe“

Hamburg, Bremen und Berlin fordern den Bund auf, ihnen Immobilien zu überlassen. Sonst sei menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen unmöglich.

Kommentar deutsche Asylpolitik: Die falsche Frage

Innenminister de Maizière rechnet vermeintlich gute Flüchtlinge gegen vermeintlich schlechte auf. Die Gefahr ist, dass seine Logik verfangen könnte.

Flüchtlinge aus Krisengebieten: Härter als die Hardliner

Selbst Hardliner von Union und SPD wollen mehr Flüchtlinge aus dem Nordirak aufnehmen. Doch Innenminister de Maizière ist dagegen.

Debatte „Sichere Herkunftsländer“: Lösung nur auf dem Papier

Der Gesetzentwurf ist so gut wie durch. Er wirkt effektiv, doch verschweigt viel mehr. Und die Frage bleibt: Wer hat unveräußerliche Rechte?

Bundesamt will strengere Regeln: Zurück auf den Balkan

Migrationsbundesamt fordert, Asylbewerbung vom Balkan schneller auszuweisen. Erst so könne man sich um die kümmern, die Schutz dringender brauchen.