taz.de -- Das deutsche Klimaziel für 2020: Raues Klima in der Koalition

Am Mittwoch ist CO2-Showdown im Kabinett. Ein interner Brief zeigt: Es gibt Widerstand in der Union. Ob die Pläne wirklich helfen, ist umstritten.
Bild: „Wir machen das mit der Kohle – oder?“ Gabriel und Merkel am Freitag im Bundestag.

BERLIN taz | Es war eine erstaunliche Wende. Wochenlang war SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel durchs Land gezogen und hatte jegliche staatlichen Vorgaben gegen klimaschädliche Kohlekraftwerke verdammt. „Wir können nicht gleichzeitig aus Atom und Kohle aussteigen“, lautete ein Standardsatz seiner Reden. Und: „Durch die Stilllegung deutscher Kohlekraftwerke würde in Europa nicht eine Tonne CO2 gespart.“

Doch wenn alle Kohlekraftwerke unvermindert weiterlaufen, kann das deutsche Klimaziel, den CO2-Ausstoß bis 2020 im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu reduzieren, auf keinen Fall erreicht werden. Das weiß auch Gabriel, aus dessen Amtzeit als Umweltminister das Klimaversprechen stammt, das im Koalitionsvertrag noch einmal bekräftigt wurde.

Nachdem klar war, dass die Kraftwerksbetreiber Gabriels ursprünglichen Wunsch nach einer freiwilligen Reduzierung ihrer Kohle-Kapazitäten nicht erfüllen, kam in dieser Woche der abrupte Umschwung: Er werde sie per Gesetz zwingen, ihren CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2020 um 22 Millionen Tonnen zusätzlich zu reduzieren, erklärte der Wirtschaftsminister den Betreibern am Montag: „Wir brauchen einen zusätzlichen Beitrag aus dem Kraftwerkspark.“ Um seinen Meinungsumschwung zumindest ein wenig zu kaschieren, betont Gabriel, er zwinge die Betreiber nicht „zum Abschalten von Kraftwerken“, sondern überlasse ihnen selbst, ob sie die Leistung überall ein bisschen reduzieren oder einzelne Kraftwerke ganz stilllegen.

Seitdem steht Gabriel von vielen Seiten unter Beschuss. Auf der einen Seite geben sich die Betreiber empört: In einem Brief beklagen sie, es gebe „keinen Spielraum für weitere einseitige Vorleistungen“, auch Schadenersatzforderungen werden laut.

Trickst Gabriel mit der Berechnung?

Auf der anderen Seite fürchten die Grünen, dass Gabriel die Kraftwerke in Wahrheit gar nicht zu zusätzlichen Einsparungen verpflichten, sondern sie sogar entlasten will. Energie-Experte Oliver Krischer warnte am Freitag, der Minister plane einen „Klimabetrug“. Hintergrund ist, dass schon die bisherigen Pläne der Regierung davon ausgehen, dass die Kraftwerke bis zum Jahr 2020 rund 40 Millionen Tonnen weniger Teibhausgase ausstoßen als bisher. Dazu gibt es aber keine Vorgaben; die Zahl beruht vor allem auf der Erwartung, dass Kohlekraftwerke stets nach 45 Betriebsjahren stillgelegt werden.

Um das Klimaziel zu erreichen, müssen die von Gabriel angekündigten Einsparungen zusätzlich erfolgen. Das sieht auch das Wirtschaftsministerium so. Doch wie genau das sichergestellt werden soll, dazu gibt es derzeit keine Auskunft. „Wenn nur die 22 Millionen Tonnen verpflichtend festgelegt werden, müssen die Emissionen am Ende weniger stark sinken als bisher schon geplant“, sagt Krischer.

Kraftwerke abschalten nur in Deutschland – hilft das?

Bei dieser Frage wird die Regierung leicht Klarheit schaffen können, indem sie das Gesamtziel und den Weg dorthin darstellt. Schwieriger zu klären ist die Frage, wieviel es dem Klima tatsächlich hilft, wenn Deutschland sein nationales Ziel erreicht. Denn das auch von Sigmar Gabriel lange verwendete Argument, dass es europaweit gesehen keinen Vorteil bringt, wenn Deutschland die Emissionen seiner Kohlekraftwerke stärker reduziert, ist im Prinzip richtig. Grund dafür ist der europäische Emissionhandel, dem die Kraftwerke und Teile der Industrie unterliegen. Dieser sieht für die ganze EU eine langsam sinkende Menge an Treibhausgasen vor. Für jede Tonne, die sie ausstoßen wollen, benötigen die Unternehmen ein entsprechendes Zertifikat. Werden in Deutschland durch eine Reduzierung der Kohlekraftwerkskapazität weniger Zertifikate gebraucht, können diese in anderen Ländern genutzt werden.

Nicht nur Kohle-Freunde wie der CDU-Abgeordnete Joachim Pfeiffer halten nationale Maßnahmen im Kraftwerksbereich darum für unsinnig und fordern eine Verschiebung der Kabinettsentscheidung. Auch Ottmar Edenhofer vom renommierten Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung meint: „So verständlich es ist, wenn die Politik an schmutzige Kohlekraftwerke ran will – für die Emissionsreduktion in Europa bringt das leider kaum was.“

Es hilft, weil es eh zu viele Zertifikate gibt

Andere Klima-Experten sehen das mittlerweile anders. Zu Verlagerungen komme es nur, wenn am Zertifikatemarkt Knappheit herrscht, sagt Jochen Flasbarth, ehemaliger Präsident des Umweltbundesamtes und heute Staatssekretär im Bundesumweltministerium. Das sei aber derzeit nicht der Fall. Unter anderem durch den Wirtschaftseinbruch im Jahr 2008 gibt es so viele Zertifikate am Markt, dass kein Unternehmen oder Kraftwerk aus Mangel an Emissionsrechten weniger produzieren muss, als es möchte.

Doch zumindest ein Teil der Emissionen würde sich trotzdem ins Ausland verlagern, meint Brigitte Knopf vom Potsdam Institut. Denn derzeit exportiert Deutschland viel Strom ins Ausland, weil die Kohlekraftwerke weiterlaufen, obwohl die erneuerbaren Energien wachsen. „Wenn dieser Export wegfällt, würde der Strom im Ausland produziert werden müssen“, sagt Knopf. „Und da würden natürlich auch Emissionen freigesetzt.“ Diese wären in den meisten Fällen aber geringer als jene der besonders ineffizienten deutschen Braunkohlekraftwerke, so dass auch bei einer Verlagerung zumindest ein Teil der Emissionen eingspart würde.

Greenpeace setzt zudem darauf, dass durch nationale Maßnahmen der Druck steigt, den Emissionhandel auf europäischer Ebene zu reformieren. „Damit es in der EU vorangeht, brauchen wir Vorreiter“, sagt Energieexperte Tobias Münchmeyer.

Unions-Abgeordnete pochen auf den Koalitionsvertrag

Doch Probleme drohen Gabriel nicht nur bei seinen Vorgaben für die Kraftwerke. Auch der Plan für mehr Effizienz in der Industrie stößt in der Union auf Widerstand. Sämtliche Maßnahmen, mit denen Unternehmen zum Energiesparen verpflichtet würden, sollen gestrichen werden, fordern Fraktionsvize Michael Fuchs und weitere Unions-Wirtschaftspolitikern in einem Brief an Gabriel, der der taz vorliegt. „Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass es in dieser Legislaturperiode keine Verschärfung von ordnungsrechtlichen Vorgaben geben soll“, schreiben die Abgeordneten. Dies sollte sich auch im Effizienzplan der Regierung „hinreichend widerspiegeln.“

Bei allen Maßnahmen müsse „ausdrücklich klargestellt sein, dass sie auf Freiwilligkeit und nicht auf Zwang beruhen“. Bisher sind neben neuen Förderinstrumenten auch ordnungsrechtliche Vorgaben vorgesehen, etwa beim Energiebedarf von Gewerbehallen oder einem Effizienzlabel für Heizungen.

29 Nov 2014

AUTOREN

Malte Kreutzfeldt

TAGS

Klima
Klimaschutzziele
Gabriel
Kohlekraftwerke
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
CO2-Emissionen
Energiewende
Schwerpunkt Klimawandel
Energiewende
Hamburg

ARTIKEL ZUM THEMA

Essay zu Klimakonferenzen: Besser als ihr Ruf

Jedes Land blickt auf die eigenen Interessen. Aber sind Klimaverhandlungen deshalb überflüssig? Im Gegenteil: Sie sind erstaunlich effektiv.

Klimaziele der Bundesregierung: 40 Prozent auf alles

Energieeffizienz und Klimaschutz: Die Bundesregierung will in Deutschland bis 2020 insgesamt 22 Millionen Tonnen Treibhausgas einsparen.

Chemieverbands-Chef über Klimaziele: „Die Energiepreise sind ein Problem“

Neue Klimavorgaben für die Industrie lehnt Utz Tillmann ab. Trotz bester wirtschaftlicher Lage warnt er vor einer „De-Industrialisierung“ Deutschlands.

Klimakonferenz in Peru startet: Lernen aus Kopenhagen

Die große Klimakonferenz in Lima startet optimistisch. Das geplante neue Abkommen zwingt niemanden, sondern setzt auf Freiwilligkeit.

Gewerkschaft und Klimaschutz: Hauptsache, die Kohle stimmt

Gewerkschaftsintern gibt es Zweifel und Kritik an der Unterstützung für den IG-BCE-Aufruf. Bisher hatte der DGB die Energiewende unterstützt.

Klimabericht der Weltbank: Ziemlich oft Sommer

Eine Erderwärmung um 1,5 Grad ist selbst bei ambitioniertem Klimaschutz kaum noch zu verhindern. Das hat auch Folgen für die weltweite Armut.

Geberkonferenz in Berlin: Milliarden gegen den Klimawandel

21 Staaten füllen erstmals den „Grünen Klimafonds“ der UNO auf. Mit 9,3 Milliarden Dollar soll die globale Energiewende finanziert werden.

Weltklimakonferenz als Theaterstück: Mal eben die Welt retten

Das Künstlerkollektiv Rimini-Protokoll will das anstehende Verhandlungsdrama in Peru am Hamburger Schauspielhaus in drei Stunden zusammenfassen.