taz.de -- Debatte Rechte und Flüchtlinge: Von Pegida lernen
In Dresden formiert sich eine Protestbewegung, die in weltoffeneren Gegenden viele unappetitlich finden. Doch das greift zu kurz.
Mit Flüchtlingsfragen lassen sich keine Wahlen gewinnen, also: Politiker, Finger weg! Diese Binsenweisheit gilt nicht mehr. Flüchtlingsfragen sind in aller Munde.
In Dresden fürchten rechtskonservative und rechtsradikale BürgerInnen, dass sie islamisiert werden. Sie fühlen einen Kontrollverlust und eine Zukunftsangst, die sie dem unbekannten Fremden, dem Muslim und der AsylbewerberIn anlasten. Der Flüchtling wird damit zur einer dem Medusahaupt ähnlichen Figur hochstilisiert: Wie auf den schlangenumzüngelten Frauenkopf projiziert der in seinem Status Verunsicherte alles Bedrohliche auf ihn, in der Hoffnung es von sich zu entfernen, es also bannen zu können. Gleichzeitig fixiert er sich aufs Abgewehrte, kriegt es also nicht los. Das macht ihn noch wütender.
Die abstrakte Redeweise vom Flüchtling als Figur ist angemessen, denn getroffen haben die Fußtruppen der AfD einen Flüchtling oder Muslim bislang eher nicht. Insgesamt, so besagt eine jüngst veröffentlichte Studie der Bosch-Stiftung, hatten nur fünf Prozent der Deutschen je Kontakt zu einem geflüchteten Menschen. Trotzdem sind die Unbekannten nun Teil der politischen und gesellschaftlichen Agenda. Wenn die Linken sie wieder ad acta legen wollen, werden die Rechten sie zum Wahlkampfthema machen. Es ist also Zeit, Alternativen zur Ignoranz und Abwehr durchzuspielen.
Menschen, die in ihrer Heimat alles aufgeben, weil sie es ablehnen, auf die ein oder andere Weise zu sterben oder unterzugehen, stellen die herrschende Ordnung in Frage, in ihren Ländern und auch im Ausland. Sie sind Verbindungsleute, denn sie verbinden das Eigene und das Fremde. Daher fordern sie bereits mit ihrer puren Existenz die zunehmend auf Hierarchien und Exklusion bedachten Eliten heraus. Es ist kein Zufall, dass sich das AfD-Milieu auf Flüchtlinge einschießt.
Dazulernen als Demütigung
Auch die Pegida-Anhänger misstrauen den Eliten, auch sie fühlen sich ausgegrenzt, wenn nicht materiell, dann doch symbolisch. Auch ihnen fehlt die Wertschätzung und sie fordern mehr Resonanzraum, auch sie haben ihre Heimat verloren, wenn auch nur im übertragenen Sinn. Ungewollt haben sie mit dem Prototyp des geflüchteten Menschen einiges gemeinsam und müssen sich umso heftiger abgrenzen.
Mit solchen Verwerfungen lässt sich umgehen, Feindbilder und Fremdenfeindlichkeit sind nichts Neues. Nehmen wir etwa die historische Feindschaft zwischen Deutschen und Franzosen. Begegnungsprogramme, SchülerInnenaustausch sowie Kooperationen im Kulturbereich gehören zum Standardprogramm von der Kommune bis zur Regierungsebene.
Ähnliches braucht es auch im Umgang mit Flüchtlingen. So groß der Medienrummel um die Pegida-AnhängerInnen ist: Zwei Drittel der Deutschen haben in der erwähnten Bosch-Studie erklärt, sie möchten, dass Deutschland mehr Flüchtlinge aufnimmt. Das ist der erste Schritt, im zweiten gilt es, Begegnungen zu organisieren und auch staatlich zu fördern: In Form von Veranstaltungen, Praktika oder entsprechenden Mitwohnzentralen.
Deutschland kann sich das leisten. Denn Asylsuchende sind entgegen der gängigen Überzeugung kein Faktor, der die deutsche Wirtschaft in Bedrängnis bringt. 2,5 Millionen Aussiedler leben heute hier, ohne dass der ökonomische oder soziale Kitt je in Gefahr war. Geflüchtete Menschen sind nur dann ein Problem, wenn das Kollektiv den Perspektivwechsel verweigert, also Beweglichkeit als Bedrohung erfährt und Dazulernen als Demütigung. Das aber ist ein Kollektiv, das in seiner Starrheit antidemokratisch wird.
Wer geflüchtete Menschen aber als ExpertInnen anspricht, also mit ihnen auf Lernreise geht, verteidigt nicht nur die demokratische Pluralität der Gesellschaft, sondern auch die eigene Souveränität. Nichts verhärmt mehr als Berührungsangst. Auch das lässt sich von den Protesten in Dresden lernen.
15 Dec 2014
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