taz.de -- Ende des Kampfeinsatzes in Afghanistan: Von der Leyen warnt vor Hektik

Beim Truppenbesuch sprach sich die Verteidigungsministerin gegen einen abrupten Abzug nach Ende des Nato-Einsatzes aus. Die Taliban töteten bei Anschlägen zahlreiche Menschen.
Bild: Auf Truppenbesuch: Ursula von der Leyen in Masar-i-Scharif.

MASAR-I-SCHARIF/KABUL rtr | Inmitten einer neuen Anschlagsserie in Afghanistan hat Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen am Samstag vor einem überhasteten Abzug der internationalen Truppen vom Hindukusch gewarnt. Die Nato beendet am 31. Dezember den Kampfeinsatz ihrer Internationalen Schutztruppe Isaf in Afghanistan, will aber mit 12 000 Soldaten zur Ausbildung und Beratung der afghanischen Streitkräfte im Land bleiben.

Die Sicherheitslage sei fragil, sagte die Ministerin wenige Tage vor dem Ende des Nato-Kampfeinsatzes bei einem Besuch im Hauptquartier der afghanischen Armee für den Norden des Landes in Masar-i-Scharif. Die ausländischen Truppen dürften daher nicht zu abrupt abziehen. Sie müssten sich genügend Zeit für den nun beginnenden Ausbildungseinsatz nehmen und diesen schließlich behutsam beenden. Während der Reise erfuhr die Ministerin vom Tod ihres Vaters, des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht.

Die radikalislamischen Taliban töteten unterdessen bei einer neuen Anschlagsserie mit Schwerpunkt in Kabul mehr als ein Dutzend Menschen. Im Westen Kabuls zerstörte ein Selbstmordattentäter einen Bus, der afghanische Soldaten transportierte. Mindestens sechs Soldaten wurden nach Polizeiangaben getötet. Wer für den Anschlag verantwortlich war, blieb zunächst unklar.

Allerdings bekannten sich die Taliban zu einem Attentat auf einen hochrangigen Beamten des Obersten Gerichtshofes. Er wurde in Kabul erschossen, als er sein Haus verließ. Die Islamisten haben die Zahl ihrer Anschläge in Kabul in den vergangenen Wochen massiv erhöht, die Hauptstadt lebt deshalb im Alarmzustand. Der Anstieg der Gewalttaten fällt zusammen mit dem Auslaufen des Nato-Kampfeinsatzes zum Jahresende.

Auch außerhalb Kabuls schlugen die Taliban zu: In der Nacht zum Samstag tötete eine Bombe der Taliban nahe dem US-Stützpunkt Bagram bei Kabul zwei ausländische Soldaten in einem Konvoi. Am Donnerstag hatte sich ein Jugendlicher im Auftrag der Taliban im französischen Kulturzentrum in Kabul in die Luft gesprengt und dabei einen deutschen Entwicklungshelfer getötet und 16 weitere Menschen verletzt.

Zwölf Minenräumer von Taliban erschossen

In der Nähe des früheren britischen Stützpunktes Camp Bastion in der Süd-Provinz Helmand erschossen die Taliban zwölf Minenräumer. Die Extremisten hätten von Motorrädern aus das Feuer auf die Männer eröffnet, erklärte die Polizei.

Von der Leyen lobte die Entschlossenheit der Afghanen, in ihrem Land für Frieden zu sorgen und sagte ihnen Unterstützung dafür zu. „Wir sind in einer Zeit des Übergangs“, sagte sie bei ihrem Besuch im Camp Schahin, dem Hauptquartier der afghanischen Armee im Norden. Die ausländischen Truppen würden den neuen Einsatz mit großer Ernsthaftigkeit vorantreiben.

Die Fortschritte der vergangenen Jahre sollten nachhaltig gesichert werden, obwohl die Taliban mit aller Gewalt versuchten, die junge afghanische Regierung zu destabilisieren. „Umso wichtiger ist es, dass wir fest an der Seite der afghanischen Sicherheitskräfte stehen und sie beraten, wie sie dem entgegenstehen können“, betonte die Ministerin.

Trotz aller Schwierigkeiten und Opfer habe sich das seit 13 Jahren andauernde Engagement der Nato gelohnt, sagte von der Leyen: „Wenn wir den Blick zurückwerfen, dann zeigt sich an einigen Faktoren, dass es sinnvoll war.“

Afghanistan sei heute nicht mehr die „Brutstätte des Terrors“, die Zahl der Schüler habe sich verzehnfacht und das Land habe heute 350.000 Polizisten und Soldaten, um selbst für Sicherheit zu sorgen, sagte von der Leyen.

Aus den Fehlern im Irak lernen

Als warnendes Beispiel gilt der rasche Abzug der US-Truppen aus dem Irak 2011, nachdem sich beide Staaten nicht auf ein Truppenstatut einigen konnten. Drei Jahre später sah sich US-Präsident Barack Obama gezwungen, wieder Soldaten in das Land zu schicken, das wegen des Vormarsches der Extremistenmiliz Islamischer Staat in Chaos und Gewalt zu versinken droht. Auch Deutschland plant, zur Ausbildung von Peschmerga-Kämpfern etwa 100 Bundeswehr-Soldaten in die Kurden-Hauptstadt Erbil im Nordirak zu entsenden. Von der Leyen betonte jedoch, dass die Ausgangslage im Irak und in Afghanistan sehr unterschiedlich sei.

Der Kampfeinsatz der Nato-Truppe Isaf wird zum Jahreswechsel nach 13 Jahren durch die Beratungs- und Ausbildungsmission „Resolute Support“ (Entschlossene Unterstützung) abgelöst. Für sie sollen 12.000 ausländische Soldaten am Hindukusch bleiben, unter ihnen knapp 9.000 Amerikaner und bis zu 850 Deutsche. Der Bundestag entscheidet am Donnerstag über das Mandat dafür. Etwa 70 deutsche Soldaten sollen künftig als Berater zum Einsatz kommen – ein Teil von ihnen im Camp Schahin, der Rest beim Verteidigungsministerium in Kabul.

Um einen Rückfall des Landes in die Gewalt zu verhindern, hat Deutschland Afghanistan neben dem Militäreinsatz bis mindestens 2016 pro Jahr 430 Millionen Euro an Hilfsgeldern zugesagt. Deutschland ist damit drittgrößter Geber nach den USA und Japan.

13 Dec 2014

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