taz.de -- Kolumne Ich meld' mich: So schön gemischt germanisch
Beim Spaziergang durch Nürnberg, die deutscheste aller deutschen Sädte, sticht die Unterwanderung überall ins Auge. Gott sei Dank!
Die deutscheste aller deutschen Städte ist am Ende doch nicht geworden, was sie einmal werden sollte: ein Hort des Dumm- und Dumpfdeutschen, so monumental wie beschränkt, Laufsteg der Schlägerbanden, Auftriebshof zur Fleischbeschau menschlichen Schlachtviehs. Im Gegenteil.
Die Unterwanderung sticht ins Auge. Im Bratwursthäusel wenden zwischen Butzenscheiben und altem Zinngeschirr Frau Nga, Frau Mai und Frau Tran aus Vietnam deutsches Kulturgut auf dem Rost. Kolleginnen und Kollegen aus zehn Nationen arbeiten in Service, Küche und Metzgerei. Die elegante, ältere Dame am Nebentisch, die „Acht auf Kraut“ bestellt, verrät, dass sie vor zwanzig Jahren hierher gezogen, aber in Porto am Douro zur Welt gekommen sei.
Draußen, in der Königstraße, lassen sich zwei Inderinnen mit viel Gold um den Hals von ihren Begleitern Tüten von Zara und Douglas hinterhertragen. Und das, was der Gemüseverkäufer an der Pegnitzbrücke von sich gibt, klingt kroatisch – dürfte am Ende aber doch „Frrränggisch“ gewesen sein: eine Sprache, wie geschaffen zum Schimpfen auf die Obrigkeit.
Hinaus zum Reichsparteitagsgelände fährt die Straßenbahn Nr. 9. In der Wodanstraße, immer noch in altdeutschen Lettern angezeigt, passiert sie Lokale, die „Lacostaverde“ heißen, „kalimera“ und „African Queen“. Auf dem Zeppelinfeld, einst Leni Riefenstahls Freilichtstudio fürs Obszöne, reihen sich Lkws aus Holland, England und der Ukraine. Und wo einst der Reichsarbeitsdienst antrat, wächst Unkraut, und Maulwürfe sind zugange.
Abends steht in der Hausbrauerei eine junge Frau aus Tschechien am Zapfhahn, zwei Japaner im dunkelblauen Business-Look tragen Bügelflaschen mit Rotbier hinaus wie glücklich erkämpfte Trophäen. Und an einem der Tische stemmen Männer und Frauen, die nach kasachischer Steppe aussehen, selig lachend Steingutmaßkrüge und geben stolze Trinkgelder. International, polyglott und zivil ist „des Reiches Schatzkästlein“ geworden – etwas Besseres hätte Nürnberg nie passieren können.
17 Jan 2015
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Sanaa, die Hauptstadt des Jemens, war schon immer eine Reise wert. Ein arabisches Gesamtkunstwerk. Was nur wird nach dem Bombenkrieg übrigblieben?
Die Nazis luden zur Imagekampagne, 14 Schriftsteller aus Europa folgten. Reisebücher darüber finden sich noch heute in Bibliotheken.
Damals – als Stewardessen noch nicht Saftschubsen genannt wurden, Messer aus Cromargan waren und statt Meilen Löffel gesammelt wurden.
Meeresstrand und Wüstendünen, wo bekommt man das schon zugleich? In wenigen Tagen eröffnet die „Die-Welt-ist-toll-Show“ in Berlin.
Kraken wollten wir fischen. Doch das Wetter spielte nicht mit. Auch meinte der Kapitän, jemand, der Franziskos heißt, sollte besser an Land bleiben.
Eine Modekrankheit zu haben ist schlimm, aber es gibt da draußen natürlich Schlimmeres. Immerhin legt diese Kolumne einen fulminanten Start hin.