taz.de -- Die Wahrheit: Arschteure Schokolade

Die bizarren Folgen der Aufwertung des Schweizer Franken in der vorigen Woche zeigen sich derzeit überall im Billigwährungsland Deutschland.
Bild: Egal ob Gold- oder Schokobarren, in der Schweiz ist beides enorm teuer.

„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“, hatte der oberste Schweizer Währungshüter Thomas Jordan kürzlich noch behauptet, aber nun ist sie da, jene unsichtbare, aber unüberwindliche Mauer, die das Schweizer Hartwährungsgebiet endlich von angrenzenden Drittweltstaaten wie Deutschland abschirmt, deren lächerliches Spielgeld kaum noch das Papier wert ist, auf das es gedruckt wird. „Natürlich gibt es für die Deutschen Alternativen zum Euro“, versucht Jordan zu beschwichtigen, „Glasperlen etwa. Notfalls auch Kartoffeln.“

Nachdem die eidgenössische Nationalbank die Kursuntergrenze zur EU-Gemeinschaftswährung abgeschafft hat, befindet sich der Franken auf einem beispiellosen Höhenflug, während der Euro empfindlich abgewertet wurde. Da half es auch nicht, dass die Griechen anboten, gegen geringes Entgelt die Drachme als Leitwährung der Union einzuführen. Man habe noch mehr als genug von dem Zeug im Keller herumliegen, hieß es aus Kreisen des griechischen Finanzministeriums.

Wirtschaftlich sind die Folgen gravierend: Güter aus der Schweiz sind für ausländische Käufer über Nacht unerschwinglich geworden, während sie zuvor einfach nur arschteuer waren. Für ein einziges Stück Schokolade muss ein deutscher Facharbeiter mittlerweile bis zu sechs Stunden arbeiten, für ein Taschenmesser geht schon ein Jahresgehalt drauf, für eine Schweizer Markenuhr müsste er schon einen groß angelegten Subventionsschwindel durchziehen und seine ganze Familie in die Sklaverei verkaufen.

„Falls die Kartoffeln nicht reichen, nehmen wir auch wieder Verdingbuben in Zahlung“, zeigt sich Ökonom Jordan hilfsbereit und knüpft damit an alte Traditionen an. Bis ins 20. Jahrhundert konnten Schuldner ihre Kinder in der Schweiz als Sicherheit hinterlegen, wenn sie auch allzu selten wieder ausgelöst wurden.

Für eine Exportnation wie Deutschland wäre eine solche Kurssteigerung eine Katastrophe, aber die tapferen Eidgenossen zuckten nicht mal mit den Wimpern, als an einem einzigen Tag Buchwerte in Höhe von 60 Milliarden Franken verbrannten, die in Devisen angelegt waren. „Das war uns der Spaß wert“, meint ein helvetischer Banker, der ungenannt bleiben will. „Ich liebe den Geruch von frisch verbranntem Geld am Morgen.“

Umso erstaunlicher ist, dass vorher keine Volksabstimmung stattfand. „Bei unseren Volksentscheiden geht es nur um Petitessen wie Minarette im Vorgarten des Nachbarn“, erklärt der renommierte Politologe Reto Nägeli. „Die wirklich wichtigen Entscheidungen werden auch bei uns hinter verschlossenen Türen getroffen, wie in allen anständigen Demokratien.“

White-God-Syndrom

Denn die Folgen sind für jeden Schweizer spürbar. Weil die Euro-Preise jenseits der Grenze unterhalb der Wahrnehmungsgrenze rangieren, erkranken immer mehr Helvetier auf Deutschlandbesuch am White-God-Syndrom, das bislang vor allem bei Rucksacktouristen in Südostasien beobachtet wurde. Zum reinen Vergnügen zünden sie dicke Euro-Bündel an und werfen sie aus fahrenden Autos, um sich am Getümmel der Habenichtse zu ergötzen, die sich um die brennenden Scheine balgen.

Nachdem sogar Schweizer Clochards mit einem einzigen Tagesverdienst ganze Supermärkte leerkaufen können, hat sich auch die Versorgungslage im südwestdeutschen Grenzgebiet dramatisch verschlechtert. Das einstige Musterländle Baden-Württemberg ist mittlerweile auf Lebensmittelspenden aus Mecklenburg-Vorpommern angewiesen.

Am härtesten trifft die Aufwertung des Franken aber die Ärmsten der Armen: die nordrheinwestfälischen Kommunen, jene Verdammten der Erde, deren Kämmerer auf jeden halbseidenen Finanztrick hereinfallen. Nachdem die maroden Metropolen kommunale Versorger und Wohnungsgesellschaften an durchreisende Hedgefonds verkloppt hatten, wurden ihnen von schurkischen Beratern Fremdwährungskredite in vermeintlich kursstabilen Franken aufgeschwatzt, die nun allerdings in astronomische Höhen geschnellt sind.

In Essen, das vormals mit umgerechnet 367 Millionen Euro bei der Schweiz in der Kreide stand, hat man vorsorglich sämtliche Ortsschilder abgehängt, um die Gläubiger zu verwirren, denn selbst Ortskundige tun sich schwer, in der verfilzten Agglomeration des Ruhrgebiets einzelne Städte zu identifizieren. „Essen? Nie gehört! Wo soll das sein?“, verteidigte der Essener Stadtkämmerer seine Schuldenpolitik, bevor er sein Büro mit unbekanntem Ziel verließ.

Schon werden erste Stimmen laut, die Abwehrmaßnahmen gegen den Einfall der finanzstarken Schweizer fordern. „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“, erteilte jedoch Bundesbankchef Jens Weidmann entsprechenden Forderungen eine deutliche Absage. „Nun ja, einen ganz kleinen antikapitalistischen Schutzwall vielleicht.“

21 Jan 2015

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Bartel

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